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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Skloot
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jenem ersten Anruf erfuhr, dass Henriettas Zellen noch am Leben waren. Sie wusste, dass die Zellen ihrer Mutter gewachsen waren wie der Blob, bis es so viele von ihnen gab, dass man die Erde mehrmals darin hätte einhüllen können. Auch das klang verrückt, aber es stimmte.
    »Man weiß ja nie«, sagte Deborah, fischte zwei weitere Artikel aus dem Haufen und reichte sie mir. Die Überschrift des ersten lautete ZELLEN VON MENSCHEN UND PFLANZEN VERSCHMOLZEN: KOMMT ALS NÄCHSTES DIE LAUFENDE MÖHRE? Über dem zweiten stand MENSCH-TIER-ZELLEN IM LABOR GEZÜCHTET. Beide handelten von den Zellen ihrer Mutter, und keiner von beiden war Science-Fiction.
    »Ich weiß nich, was die gemacht haben«, sagte Deborah, »aber für mich hört sich das alles an wie Jurassic Park .«

    An den folgenden drei Tagen kam Deborah jeden Morgen zu mir ins Zimmer der Pension, setzte sich auf das Bett und schüttete mir ihr Herz aus. Wenn wir einen Tapetenwechsel brauchten, fuhren wir mit dem Wassertaxi oder gingen am Hafen spazieren. Wir aßen Krabben, Hamburger oder Pommes frites und fuhren durch die Straßen der Stadt. Wir suchten die Häuser auf, in denen sie als Kind gewohnt hatte. Die meisten waren heute mit Brettern vernagelt und trugen Schilder mit der Aufschrift »abbruchreif«. Wir waren Tag und Nacht zusammen, und ich brachte von ihrer Geschichte in Erfahrung, so viel ich konnte. Ständig befürchtend, sie würde es sich anders überlegen und nicht mehr mit mir sprechen. In Wirklichkeit aber sah es so aus, als könne Deborah jetzt, da sie einmal zu sprechen begonnen hatte, gar nicht mehr aufhören.
    Deborahs Welt war eine Welt ohne Schweigen. Sie brüllte, akzentuierte die meisten Sätze mit einem rauen, hohen Lachen und gab über alles, was um sie herum vorging, ihre Kommentare ab: »Sieh dir mal an, wie groß diese Bäume sind!« »Das Grün von dem Auto ist aber hübsch!« »Du lieber Gott, so schöne Blumen hab ich noch nie gesehen.« Sie spazierte die Straße entlang, unterhielt sich mit Touristen, Kanalarbeitern und Obdachlosen, winkte mit ihrem Stock jedem Vorübergehenden zu und sagte immer wieder: »Hi, wie geht’s?«
    Deborah war eine Frau mit seltsam liebenswerten Schrullen. So hatte sie zum Beispiel immer eine Flasche Lysol im Auto, das sie oft willkürlich und nur halb im Scherz versprühte. Mehrmals tat sie dies unmittelbar vor meiner Nase, nachdem ich geniest hatte, meist aber sprühte sie das Desinfektionsmittel aus dem Autofenster, wenn wir an einer Stelle anhielten, die besonders unhygienisch aussah – was häufig vorkam. Beim Sprechen gestikulierte sie mit ihrem Spazierstock, und häufig klopfte sie mir damit auch auf die Schulter, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, oder sie schlug mir damit gegens
Bein, wenn sie eine Aussage besonders hervorheben wollte.
    Eine der ersten Gelegenheiten, mit ihrem Stock Bekanntschaft zu schließen, hatte ich, als wir gerade in meinem Zimmer saßen. Sie hatte mir ein Exemplar des Buches Medical Genetics von Victor McKusick in die Hand gedrückt und sagte: »Den Typen hab ich kennen gelernt, der wollte von mir’n bisschen Blut für’n paar Krebstests.«
    Ich erklärte ihr, er habe das Blut für seine Untersuchungen an Henriettas Zellen gebraucht, aber nicht um bei ihr oder ihren Brüdern nach Krebs zu suchen. Daraufhin schlug sie mir mit ihrem Stock auf das Bein.
    »Peng!«, rief sie, »jetzt hast du’s mir gesagt! Als ich ihm Fragen nach den Tests und den Zellen von meiner Mutter gestellt hab, hat er mir nur dieses Buch in die Hand gedrückt, hat mir auf den Rücken geklopft und mich nach Hause geschickt.« Sie griff nach dem Buch, klappte es auf und zeigte mit dem Finger darauf. »Er hat’s für mich unterschrieben«, sagte sie und rollte mit den Augen. »Wär nett gewesen, wenn er mir auch gesagt hätte, was in dem blöden Ding drinsteht.«
    Jeden Tag lümmelten Deborah und ich uns stundenlang aufs Bett, lasen ihre Unterlagen und unterhielten uns über ihr Leben. Dann, gegen Ende des dritten Tages, bemerkte ich auf meinem Kissen einen dicken Umschlag aus braunem Papier.
    »Sind das die Krankenakten deiner Mutter?«, fragte ich und griff danach.
    »Nein!«, schrie Deborah mit wildem Blick, wobei sie aufsprang und sich auf den Umschlag stürzte, als wäre er ein heiß umkämpfter Fußball. Sie drückte ihn an die Brust und schloss ihre Arme darum.
    Verblüfft saß ich da, die Hand immer noch in Richtung des Kissens ausgestreckt, auf dem der Umschlag gelegen hatte, und

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