Die Unvergänglichen: Thriller (German Edition)
voneinander lösten, strich er ihr die Haare aus dem Gesicht. »Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen, Carly. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn du nicht bei mir wärst.«
»Keine Sorge, es war nicht nur Glück, dass wir einander gefunden haben. Und ich glaube, dass, was immer uns zusammengeführt hat, auch dafür sorgen wird, dass es so bleibt.«
Er wusste bei diesen Worten nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Aus irgendeinem Grund hatte er ihr nie von dem ausgeklügelten System erzählt, das er entwickelt hatte, um sie kennenzulernen. Nicht etwa das Schicksal hatte sie zusammengeführt, sondern ein mühsam entwickelter Computeralgorithmus und ein Aktenschrank voller erfundener Einkaufslisten.
Er gab ihr noch einen schnellen Kuss und zog sich dann das T-Shirt über den Kopf.
»Richard? Was hast du vor?«
»Stacheldraht«, erwiderte er, warf ihr das durchgeschwitzte Shirt zu und deutete auf die Oberkante des Zauns. »Falte es zusammen und leg es darüber. Bei dieser Stoffart brauchen wir bestimmt fünf Schichten.«
»Sprichst du da aus Erfahrung?«
»Sagen wir einfach, ich bin als Kind öfter mal über Zäune geklettert.«
Sie warf sich das Shirt über die Schulter und begann zu klettern.
»Sei ja vorsichtig. Diese Dinger bohren sich schnell durch und …«
»Bleib locker. Ich war früher Bergsteigerin, hast du das schon vergessen?«
»Das war bei einem Wochenendfirmenausflug und ist bereits sechs Jahre her.«
Als sie oben angekommen war, hielt sie sich mit einer Hand fest und wickelte mit der anderen das T-Shirt um den Draht. So konnte sie problemlos das Bein auf die andere Seite schwingen und sich auf der anderen Seite herunterlassen.
Unten angekommen legte sie eine Handfläche gegen den Zaun. Er tat dasselbe, drückte seine feuchte Hand gegen ihre und kaute auf der Unterlippe herum.
»Beeindruckt?«, erkundigte sie sich.
»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Vielleicht …«
Sie schüttelte den Kopf. »Ansonsten können wir nur dumm rumstehen und darauf warten, dass diese Leute uns finden. Und Susie. Keine Sorge – wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das hier was anderes als die Junggesellenbude eines reichen Polen ist?«
Er sah auf seine Uhr. »Trödel nicht herum, ja, Carly? Du hast vermutlich recht, aber falls das doch der Ort ist, den wir suchen und an dem Mason festgehalten wird, dann wird es hier auch Sicherheitsmaßnahmen geben. Wir wollen nur herausfinden, ob sich auf dem Gelände ein Labor befindet. Also sieh dich um und sei in fünfundvierzig Minuten wieder zurück.«
»Sei doch nicht so ein Waschlappen«, neckte sie ihn und stupste verspielt gegen seine Hand. »Mir wird schon nichts passieren.«
28
Im Westen von Argentinien
4. Mai
Als sich Carly das nächste Mal umsah, hatten die Bäume den Zaun, ihren Mann und alles andere verschluckt.
Das Ganze kam ihr beinahe vor wie ein durch Drogen hervorgerufener Albtraum. Wie konnte all das real sein? Wie konnte sich die routinemäßige Verzweiflung, aus der ihr Leben bestanden hatte, darin verwandelt haben, dass sie gejagt wurden und offiziell als tot galten? Dass sie sich Tausende von Meilen von ihrer Tochter entfernt über Staatsgrenzen schlichen und über Stacheldrahtzäune kletterten?
Seltsamerweise waren das jedoch nicht die Gründe, aus denen ihre Hände zitterten und ihr Herz pochte.
Im Lauf der vergangenen acht Jahre hatte sie keine andere Wahl gehabt, als ihre eigene Hilflosigkeit zu akzeptieren und das hinzunehmen, was die Welt ihr gab. Was sie ihr angetan hatte. Aber jetzt konnte sie einen Teil von dem spüren, was Richard schon seit so langer Zeit empfand – die Last der Verantwortung, den Ernst der Hoffnung. Den Glauben, so klein er auch sein mochte, dass sie tatsächlich etwas für ihre Tochter tun konnte.Und damit einher ging die lähmende Furcht, dass sie dabei versagen könnte.
Um sie herum standen immer weniger Bäume, bis sie am Waldrand auf einen Teich voller Flamingos stieß. Aufgrund der schräg stehenden Sonne glich die Wasseroberfläche einem Spiegel, der ihre pinkfarbenen Federn reflektierte. Sie beobachtete die Tiere, die im Wasser herumstaksten, und blieb so gut es ging im Schatten.
Es dauerte weitere zehn Minuten, bis sie den kleinen Anleger am gegenüberliegenden Ufer des Teichs erreicht hatte, dann schlug sie den Weg ein, der die Böschung hinaufführte, da sie hoffte, so zum Haus zu gelangen. Alles war so ruhig und wunderschön, dass es ihr schwerfiel,
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