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Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Die Unvollendete: Roman (German Edition)

Titel: Die Unvollendete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Beste, ihm nicht zu erzählen, dass sie allein mit der U-Bahn gefahren war. Es war ein beängstigendes Abenteuer gewesen, wie eine schwarze Nacht im Wald, das sie jedoch wie jede wahrhafte Heldin überlebt hatte.
    Ursula zuckte die Schultern. »Wir waren bei Simpson’s zum Mittagessen.«
    »Hm«, sagte Hugh, als wollte er die Bedeutung des Gesagten dechiffrieren.
    »Und wir haben eine Negerin singen gehört.«
    »Bei Simpson’s?«, fragte Hugh verwundert.
    »Auf Izzies Grammophon.«
    »Hm.« Er hielt ihr die Wagentür auf, und sie setzte sich auf den schönen Ledersitz des Bentleys, der nahezu so beruhigend war wie Hugh selbst. Sylvie hielt das Auto für »ruinös« extravagant. Es kostete wirklich atemberaubend viel Geld. Durch den Krieg war Sylvie sparsam geworden: Seifenreste wurden aufgehoben und mit der Wäsche gekocht, Laken wurden benutzt, bis sie fadenscheinig waren, Hüte aufgearbeitet. »Wir würden von Eiern und Hühnern leben, wenn es nach ihr ginge«, sagte Hugh und lachte. Ihn dagegen hatte der Krieg weniger besonnen gemacht. »Vielleicht nicht der beste Charakterzug bei einem Banker«, sagte Sylvie. »Carpe diem«, sagte Hugh, und Sylvie erwiderte: »Das sind ja ganz neue Töne.«
    »Izzie hat jetzt auch ein Auto«, sagte Ursula.
    »Wirklich?«, sagte Hugh. »Ich bin sicher, dass es nicht so prächtig ist wie diese Kreatur.« Er tätschelte liebevoll das Armaturenbrett des Bentleys. Als sie vor dem Bahnhof losfuhren, sagte er: »Man kann ihr nicht über den Weg trauen.«
    »Wem?« (Mutter? Dem Wagen?)
    »Izzie.«
    »Nein, da hast du wahrscheinlich recht«, stimmte Ursula ihm zu.
    »Wie fandest du sie?«
    »Ach, du weißt schon. Unverbesserlich. Izzie ist schließlich Izzie.«

    Als sie zu Hause ankamen, spielten Teddy und Jimmy auf dem Tisch im Wohnzimmer Domino, während Pamela nebenan bei Gertie Shawcross war. Winnie war etwas älter als Pamela und Gertie etwas jünger, und Pamela teilte ihre Zeit gerecht zwischen ihnen auf, sah sie jedoch nur selten gleichzeitig. Ursula, die mit Millie befreundet war, hielt das für ein sonderbares Arrangement. Teddy mochte alle Shawcross-Mädchen, doch sein Herz hielt Nancy in ihren kleinen Händen.
    Von Sylvie war nichts zu sehen. »Weiß nicht«, sagte Bridget gleichgültig, als Hugh sich erkundigte.
    Mrs. Glover hatte einen zweckdienlichen Hammeleintopf auf dem Herd für sie stehen lassen. Mrs. Glover wohnte nicht mehr in Fox Corner. Sie hatte ein kleines Haus im Dorf gemietet, so dass sie sich sowohl um George als auch um sie kümmern konnte. George verließ das Haus so gut wie nie. Bridget nannte ihn einen »armen Tropf«, und es war nicht schwer, sich mit dieser Bezeichnung einverstanden zu erklären. Wenn das Wetter schön war (oder auch gar nicht so besonders schön), saß er in einem hässlichen großen Rollstuhl neben der Haustür und sah zu, wie die Welt an ihm vorbeizog. Sein hübscher Kopf (»Einst löwenhaft«, sagte Sylvie betrübt) war ihm auf die Brust gesunken, und ein langer Speichelfaden hing ihm aus dem Mund. »Der arme Kerl«, sagte Hugh. »Er wäre besser dran, wenn er umgekommen wäre.«
    Manchmal ging einer von ihnen mit, wenn Sylvie – oder die etwas widerwillige Bridget – ihn besuchte. Es schien merkwürdig, dass sie ihn in seinem Haus besuchten, während seine Mutter sie in ihrem Haus versorgte. Sylvie zog die Decke über seinen Beinen zurecht und holte ihm ein Glas Bier und wischte ihm dann wie Jimmy den Mund ab.
    In der Gegend lebten noch weitere Kriegsveteranen, erkennbar am Humpeln oder an den fehlenden Gliedmaßen. Alle diese auf den Schlachtfeldern von Flandern verlorenen, herrenlosen Arme und Beine – Ursula stellte sich vor, wie sie in der Erde Wurzeln schlugen und austrieben und wieder zu Männern wurden. Eine Armee von Männern, die zurückkehrte, um Rache zu nehmen. (»Ursula hat morbide Gedanken«, hörte sie Sylvie zu Hugh sagen. Ursula war zu einer geschickten Lauscherin geworden, es war die einzige Möglichkeit, herauszufinden, was die Leute wirklich dachten. Sie hörte Hughs Antwort nicht, da Bridget wütend ins Zimmer stürmte, weil die Katze – Hattie, eine von Queenies Nachfahren und gleichermaßen charakterlos wie ihre Mutter – den pochierten Lachs für das Mittagessen gestohlen hatte.)
    Und da waren auch die, die wie die Männer in Dr. Kellets Wartezimmer keine sichtbaren Verwundungen hatten. Im Dorf lebte ein ehemaliger Soldat namens Charles Chorley, der bei den Buffs gedient und den Krieg ohne

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