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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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sagst, daß ich mich wiederhole, heißt das, daß du mich nicht mehr magst, Nina.«
    »Was redest du da, Kätzchen, komm her … Hier, auf meine Beine, mein kleines Kätzchen. Oh, du bist ja ganz heiß! Du hast dir doch nicht etwa ein Fieber eingefangen?«
    »Nein, nein, du magst mich nicht mehr, gestern wolltest du mich auch schon nicht küssen.«
    »Nina küßt dich jetzt, komm. Gestern ist sie viermal hin- und hergerannt wegen der Briefe, vergiß das nicht.«
    »Aber früher hast du mich immer geküßt, auch wenn du müde warst.«
    »Was heißt das schon? Natürlich, mit der Zeit läßt die Leidenschaft etwas nach, aber zum Ausgleich kommt die Zärtlichkeit, nicht wahr, Kätzchen? So viel Zärtlichkeit, daß ich fast weinen muß … Los, ein kleiner Kuß auf dasschöne Auge, auf den Mund, das Schwatzmaul, auch damit es endlich einmal still ist …«
    »Und auch auf das harte, großspurige Kinn, wie du vorhin gesagt hast. Gefällt es dir noch, Nina?«
    »Aber sicher, wie diese schöne, heitere Stirn, ganz leicht entstellt von einer Narbe, die täglich Form und Farbe wechselt … Welche Form hat sie heute, weißt du das? Sie sieht aus wie ein kleiner, bleicher Bach voller Sternchen.«
    »O Nina, sprich nicht vom Wasser. Ich habe solchen Durst!«
    »Da muß ich dir recht geben. Dann sagen wir, daß sie heute die Form eines Kometen hat. Du hast mir alles erzählt, außer wie du an diese Narbe gekommen bist.«
    »Keine Lust. Ich bin zu durstig.«
    »Und weißt du, was deine Nina dir dann sagt? Wir müssen uns einen Ruck geben.«
    »Wie komisch du bist, wenn du so redest.«
    »Na mach schon, beweg dich, hoch mit dem Hintern! Nieder mit der Müdigkeit! Ich will ja nicht angeben, aber wir Römer können einen exquisiten Humor entwickeln, wie im Eden in der Bond Street, wie Arminio immer sagte.«
    »Deine Aussprache, Nina! Sag das noch mal: Sstriiieht!«
    »Wen interessiert schon die Aussprache, Hauptsache, du verstehst mich. Außerdem plappere ich nur nach und bin’s zufrieden.«
    »Was plapperst du nach?«
    »Die Schlauheiten von meinem Arminio, der fremde Sprachen beherrscht und alles. Ich scharwenzel um ihn herum, sehe ihn mir an und platze fast vor Zufriedenheit, jawohl!«
    »Denkst du immer an deinen Bruder, Nina?«
    »Wie du an deinen Alten, nur wenn ich es brauche.«
    »Hör mal, Nina, du hast mir nicht erzählt, warum du die Schule abgebrochen hast.«
    »Ach! Arminio sagt, aus althergebrachter weiblicher Selbstabwertung. Aber es stimmt, ich habe mich entmutigen lassen! Nicht etwa zu Hause. Für meinen Vater waren wir alle gleich … und Teufel noch mal, er hatte recht damit! Alle tot oder im Knast, Jungs wie Mädchen. Was sagte ich gerade? Ach ja, nicht zu Hause, aber draußen in der Schule. Er meinte auch, das könne mit dem Geburtsdatum zusammenhängen, ich wurde zu früh geboren, und wahrscheinlich hat er recht, denn Licia, die jüngere, studiert und kommt voran wie ein Eilzug … Los, beweg dich, ich hoffe, etwas von Olimpia zu hören: Bei Licia ist sie in guten Händen, aber du weißt ja, wie es ist! Die mütterliche Sorge schläft einfach nie. Los, gehen wir.«
    »Nein, erzähl mir von Arminio, wie ist er?«
    »Schon wieder? Das kannst du doch sicher schon auswendig.«
    »Aber ich höre es so gern.«
    »Was soll ich sagen, er ist mein Bruder.«
    »Stimmt es, daß seine Augen die Farbe wechseln, oder erfindest du das?«
    »Schau dir meine an und entscheide selbst.«
    »Werde ich ihn kennenlernen?«
    »Was weiß denn ich! Hier habe ich den Eindruck, daß wir niemanden mehr kennenlernen werden, es sei denn im Jenseits. Los, gehen wir.«
    »Ich fühle mich so schwach, Nina, was kann das sein?«
    »Dann bleib hier, ich werde mal gehen und schauen, ob heute ein guter Tag ist. Du wirst sehen, ich kehre mit vielen Briefen zurück und mit etwas zu kauen.«
    Ich glaube ihr aufs Wort. Wenn Nina sagt, daß sie geht und zurückkehrt, ist es immer wahr. Sie kam noch nie zehn Minuten oder eine Stunde zu spät. Aber vielleicht liegt es am Durst oder am Hunger oder an dem Salzwasser – selbst von weitem sieht man, daß es salzig und bitter ist –, daß ich heute Angst habe, ihr Gesicht nicht mehr zu sehen. Um meine zitternden Knie zu beruhigen, und wenn ich auf allen vieren über karge Felsen kriechen müßte, stürze ich hinter ihr her und packe ihre Hand … Ich kann nichts sehen, dabei ist hellichter Tag. Ich spüre nur die Wärme ihrer Hand, die mich hinabzieht, wo es einmal eine blaue Bucht mit Reihen weißer Häuser

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