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Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Die Unvorhersehbarkeit der Liebe

Titel: Die Unvorhersehbarkeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goliarda Sapienza
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zu entscheiden, daß diese Villa unser Grab sein sollte? Sie war verrückt geworden. Und während ich mit den Dienstboten sprach, sah ich in ihren Gesichtern, in ihren ungläubig flackernden Blicken, daß auch sie sie für verrückt hielten. Sie war verrückt geworden, und im Moment war es besser, ihr nicht zu widersprechen.
    »Aber Euer Durchlaucht, aber …«
    »Kein aber. Die Fürstin will es so, und so wird es gemacht. Schickt all diese Leute fort. Ja, natürlich, bietet ihnen ein wenig Wein an, aber leise, bitte schön, und dann fort mit euch, zurück an die Arbeit. Heute ist ein Tag wie jeder andere.«

36
    Gaia war nicht verrückt und war es auch nie gewesen. Allmählich begann ich das Ungeheuer Mensch zu begreifen und wußte, daß jeder fremde Wille, der unserem eigenen zuwiderläuft, uns als Wahnsinn erscheint und wir unter Vernunft den verstehen, der uns genehm ist und unseren eigenen Absichten entgegenkommt. Sie war nicht verrückt. Sie hatte beschlossen, zu sterben und uns alle mit sich zu reißen. Und wie sie das beschlossen hatte! Ich zitterte vor dem fremden Willen, der sich wieder einmal vor meinen Augen entfesselte, aber nicht mehr mit dem Gefühl der Ohnmacht. Und da auch ich einen Willen oder Plan oder Entschluß – wie ihr wollt – hatte, der den anderen verrückt hätte erscheinen können, würde ich meinen Wahnsinn mit derselben festen Hand in die Tat umsetzen wie diese große Alte, die ich bewunderte, den ihren. Ich bewunderte sie, aber sie mußte sterben. Doch wie? Nochwar Zeit. Sowohl Beatrice als auch ich waren erst achtzehn Jahre alt. Ich mußte Geduld haben und ihre Wünsche erfüllen, ohne daß sie Verdacht schöpfte. Die Gelegenheit würde sich bieten. Zuerst einmal mußte ich Beatrice beruhigen und mich dann um das Testament kümmern. Zumindest wissen, wo sie es aufbewahrte. Es nicht aus den Augen verlieren.
    »Ich sehe, Mody, daß ich gut daran getan habe, dir zu vertrauen. Du bist die einzige, die mich in diesen Monaten nicht so angesehen hat, als sei ich verrückt geworden, und deren Verhalten sich nicht verändert hat. Gestern habe ich Don Antonio rausgeworfen. Dieses Trampeltier wollte besonders listig sein und hat versucht, mich über das Testament auszufragen: Ob mein letzter Wille sicher aufbewahrt sei, ob ich ihn dem Notar übergeben hätte, ob dieses, ob jenes und so weiter. Als ob ich irgend jemand anderen bräuchte außer mir selbst. Das Testament ist hier … Als ob ich einen Notar oder, was weiß ich, einen Arzt bräuchte. Im Grunde genommen wollte der alte Trottel damit sagen, daß ich verrückt bin, was, Mody?«
    »Ihr seid nicht verrückt, Fürstin.«
    »Denkst du das wirklich?«
    »Das denke ich wirklich. Ihr habt so entschieden, wie es Euch paßt, und das ist auch richtig.«
    »Sehr gut, Mody! Aber daß ich egoistisch bin, das denkst du doch?«
    »Natürlich denke ich das.«
    »Genau. Ich habe nie behauptet, altruistisch zu sein … und jetzt an die Arbeit! Und du, Carmine, erzähl mir, was es Neues gibt in diesen gefährlichen Friedenszeiten, die über uns gekommen sind!«
    »Alles ist teurer geworden, Fürstin. Natürlich waren Teuerungen vorauszusehen, aber nun sind die Preisein den Himmel gestiegen, und wenn wir nicht vorsorgen …«
    Während Carmine sprach, sah er mich voller Bewunderung an. Zum ersten Mal. Ich hatte es geschafft, daß dieser Ehrenmann mich respektierte. Zwei Siege an einem Vormittag. Jetzt wußte ich mit Sicherheit, daß das Testament hier im Haus war. Ganz in Ruhe hatte Gaia es mir innerhalb von nur drei Monaten selbst gesagt. Bis zu diesem Augenblick hatte ich im Büro und in ihrem Schlafzimmer gesucht, aber nur sehr oberflächlich. Denn es ist ein Unterschied, ob man etwas weiß oder nur hofft. Und jetzt hatte ich die Gewißheit, daß das Testament ganz in der Nähe war. Ich verwandte noch mehr Aufmerksamkeit auf Büro und Schlafzimmer. Ich spürte die Geheimfächer des Büros auf. Ich durchsuchte Seite für Seite ihre persönlichen Bücher und inspizierte jeden Einband. So entdeckte ich ihre Lieblingslektüre; es war nicht viel, und nur Lyrik. Ich brauchte fast einen Monat, um sicherzugehen, daß es in diesen beiden Räumen nicht sein konnte. Wollte ich das ganze Haus so durchsuchen, hätte ich ein volles Jahr gebraucht. Es gab keine andere Möglichkeit, als sie genau zu beobachten, in der Hoffnung, eine winzige Spur zu finden, die mich zu dem Versteck führte. Unter dem Vorwand, nichts von Lyrik zu verstehen, bat ich sie, einige ihrer

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