Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
seinen Ärmeln lugten Hände.
»Es ist ein Gedankentheater, musst du wissen!«, meckerte der Faun. »Gespielt wird nur in meinem Kopf! Ja, ja. Ich stelle mir die Prinzessin Fantasmagoria vor! Mit allem Drum und Dran! Den schön bemalten Kulissen! Dem Licht! Den Schauspielern! Früher habe ich noch die Kleiderpuppen aus der Garderobe auf die Bühne geschoben. Um meiner Fantasie auf die Sprünge zu helfen. Aber mittlerweile muss ich mich nur dort vorn in die erste Reihe setzen und schon geht das Spiel los. Alles in Gedanken natürlich.« Der Faun tippte sich an den quadratischen Schädel. Dann fing er an, sich seinen Ziegenbart zu zwirbeln. »Und wer bist du? Ein Gefährte Fiet Fingers, wie mir scheint. Ja? Der Freund Ole Monds? Ja? Jonas? Ja? Jonas Nichts. Oh! Ich habe von dir gehört. Habe ich.« Er nickte mehrmals.
Die Flüsterer flüstern von dir , dachte Jonas. Es hätte ihm Angst machen können, dass der Faun von ihm wusste, aber eigentlich beruhigte es ihn eher. Er hatte sich so allein gefühlt in diesem verdammten Kanal. Und die verschwundenen Jünger und der Mann mit dem Hut lauerten in seinen Knochen wie ein Fieber.
»Darf ich mich vorstellen?«, meckerte der Faun. »Lubbe nennt man mich.« Er verbeugte sich schwungvoll. »Ich war – darf ich es sagen? – einst der Liebling dieses Theaters. Bejubelt! Beklatscht! Gefeiert! Von früh bis spät!« Er legte Jonas einen Arm um die Schultern und führte ihn hufeklappernd den Gang neben den Stuhlreihen hinab in Richtung Bühne.
Jonas wusste kaum, wie ihm geschah. Eigentlich war er bloß erleichtert.
»Alle großen Rollen habe ich da oben gespielt.« Lubbe plauderte munter drauflos. »Junge Götter, strenge Väter, alte Despoten. Am besten aber war ich als König in der Prinzessin Fantasmagoria . Ich war der König und sein Pferd!« Er lachte meckernd. Dann sah er Jonas an. »Du bist wohl noch nicht vielen Faunen begegnet, wie?«
Jonas schüttelte den Kopf. »Sie sind der erste«, sagte er dann.
»Na, so was!« Lubbe lachte wieder. »Da hast du also gleich den berühmtesten getroffen!«
Jonas versuchte mitzulachen, der Höflichkeit halber.
Aber Lubbe wurde auf einmal ernst. »Kein Spaß, Jonas Nichts. Kein Spaß! Es gab Zeiten, da war Callamaar mit Plakaten von mir gepflastert! Der grrrroße Lubbbbbbe!«, meckerte er unvermittelt los. Dann flüsterte er beinahe. » Meine große Zeit. Dagegen nimmt sich dein bisschen Berühmtheit wahrlich gering aus, Jonas Nichts.«
Jonas stutzte. »Wie meinen Sie das?«
Mittlerweile hatten sie den Rand der Bühne erreicht. Lubbe strich sich wieder den Bart, die andere Hand hatte er malerisch über die Kante der Bühne drapiert. »Na! Wie wohl? Wen der Hirte sucht und nicht findet …« Lubbe machte eine irgendwie vielsagende Geste. »Außerdem … diese Augen, Junge … diese Augen … Nicht einmal schlecht. Sehr wirkungsvoll. Mit den beiden verschiedenen Farben, meine ich. Für die Bühne natürlich nicht geeignet. In den hinteren Reihen sieht sie kein Mensch! Das merken die gar nicht im Publikum, dass du so hübsche Augen hast!« Lubbe grinste beinahe teuflisch. »Wieso bist du eigentlich so unvorteilhaft nass?«, erkundigte er sich dann.
Jonas überlegte einen Augenblick, bevor er antwortete. Wie viel konnte er preisgeben? »Ich bin in den Kanal gefallen«, sagte er schließlich. »Die Jünger waren hinter mir her.«
»Oho!«, rief Lubbe. »Wie aufregend! Schade, dass du kein Publikum hattest bei deiner gelungenen Flucht. Du hattest doch keine Zuschauer, oder?«, erkundigte er sich eifersüchtig.
Jonas dachte an den Mann mit dem Hut. »Nein«, murmelte er. »Keine Zuschauer.« Er machte eine Pause.
Lubbe nickte, mitleidig und erleichtert zugleich.
»Können Sie mir helfen, Fiet Finger zu finden?«, fragte Jonas dann. »Ich habe ihn verloren, und ich weiß nicht, wo er sich versteckt.«
»Tja.« Lubbe räusperte sich. »Ich könnte es zumindest versuchen. Aber vorher sollten wir deine Sachen trocknen. Du wirst sonst krank, Jonas Nichts.« Dann stahl sich ein Lächeln in seinen Bart. »Außerdem würde ich dir gern etwas zeigen, junger Mann. Ja, ja.«
Lubbe war buckelig und wirkte auf seinen Hufen nicht besonders sicher, aber auf die Bühne flog er mehr, als dass er sprang. Dann half er Jonas hinauf und gemeinsam liefen sie über das weiche Holz der Bühnenbretter. Jonas hatte kaum Zeit, den hohen Bühnenraum zu bestaunen. Eilig lotste Lubbe ihn an den Kulissen vorbei, riesige dünne Platten aus bemaltem Holz,
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