Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
Botschaft für ihn bereit – die Luft war rein.
Er stemmte sich gegen die Tür, durch die Alma gekommen war, und sie schwang auf. In diesem Flügel von Wunderlich war er noch nie gewesen. Er sah auf den verschlissenen Teppich und zog die Schuhe aus. Er hörte seinen Atem gehen.
Und jetzt?
Jonas wusste nicht mit letzter Gewissheit, wo er war, aber er war sich ziemlich sicher, dass er sich im hinteren Flügel von Wunderlich befand. Wenn er von hier aus den Innenhof überqueren würde, käme er zur Eingangshalle. Im Flügel rechts von ihm mussten die Küche und das Speisezimmer liegen, und darüber, ein Stockwerk höher, sein Zimmer. Im Flügel links wiederum waren die Bibliothek und Almas Kapelle.
Jonas versuchte, die Flügel den Himmelsrichtungen zuzuordnen. Er war im Ostflügel untergebracht, vor seinem Fenster ging die Sonne auf. Also lagen Bibliothek und Kapelle im Westflügel. Die große Eingangstür ging nach Norden heraus und er musste jetzt im Südflügel sein. Hinter dem Südflügel waren bestimmt der Teich, in dem Ruben seine Fische zog, und der Garten, den Jonas noch nie gesehen hatte. Sogar Elsas Gemüsegarten ging nach Süden hinaus. Und bestimmt genoss auch eine Baronin die Nachmittagssonne. Außerdem – wo sollte Alma schon hergekommen sein, so früh am Morgen, wenn nicht aus ihrem Zimmer?
Und dieses Zimmer war jetzt leer.
Auf gut Glück wandte sich Jonas nach links und eilte den Korridor hinab, auf Strümpfen und unhörbar. Nur die erste Tür kostete ihn Überwindung, sein Hals wurde ganz eng, als er die Klinke herunterdrückte, aber dann arbeitete sich Jonas immer schneller vor, Tür für Tür.
Zunächst führten sie alle in Zimmer, in denen nur noch Möbel wohnten. Jonas sah staubige Tische und Sekretäre, verschlissene Betten und Stühle, auf denen schon seit vielen Jahren niemand mehr gesessen hatte. Kalte, stickige Luft schlug ihm entgegen, auf den Möbeln und Fensterbänken lag der Staub fingerdick. In manchen Räumen waren die Möbel und sogar die Bilder an der Wand verhängt, manchmal waren auch die Blendläden vor den Fenstern geschlossen, und er hatte das Gefühl, in eine dunkle Höhle zu schauen. Nur durch ein paar Ritzen kroch dann ein fades Licht.
Jonas betrat kein einziges dieser Zimmer. Er war nicht neugierig auf Wunderlich, vielmehr suchte er etwas Bestimmtes, auch wenn er nicht wusste, was genau das war. Er dachte an das Bild in der Bibliothek und die kleine Figur in Claras Händen. Tabbi konnte unrecht haben, dachte er. Vielleicht war dieser Puppenspieler gar nicht im Spielzimmer.
Er lugte in den nächsten, abgedunkelten Raum und schloss die Tür gleich wieder. Er hatte nicht viel Zeit. Alma konnte jetzt oder in vielen Stunden zurückkommen, genauso Irmingast. Außerdem würde Tabbi irgendwann bemerken, dass er nicht Schnee schippte. Vielleicht suchte sie ihn schon.
Aber was würde er mit der Figur anfangen, wenn er sie wirklich fände?
»Weiter«, sagte eine tiefe Stimme da. Sie gehörte dem Räuber Wieflinger, und Jonas erschrak kein bisschen, denn nur er konnte sie hören.
Er öffnete die nächste Tür und das Zimmer war warm.
Einen Augenblick lang blieb er auf der Schwelle stehen und genoss das Gefühl, am Ziel zu sein.
Almas Zimmer.
An der Wand gegenüber hing ein großes Kreuz, darunter stand eine Kommode. Es gab einen Toilettentisch mit einem schimmernden Spiegel, einen bulligen Schrank und ein ausladendes, ungemachtes Bett. Dem Bett gegenüber hing ein Fink in goldenem Rahmen. Er hatte üppiges, aufwändig frisiertes schwarzes Haar und einen stolzen Zug um die Mundwinkel. An einer seiner bleichen Hände trug er einen schweren Ring, auf dessen Siegel ein Fink geprägt war.
Jonas war sich sicher, dass das Bild den Ahnherren Leopold zeigte, den Sechsunddreißigsten einer lange bedeutungslos gewordenen Thronfolge. Aber es kümmerte ihn nicht weiter.
Entschlossen ging er zur Kommode und zog die oberste Schublade auf. Ein Geruch nach Rosenwasser machte sich breit. Jonas fand eine Bibel, ein Gebetbuch, einen Rosenkranz und eine Schatulle. Die Schatulle war verschlossen, in ihrem kleinen Schloss steckte kein Schlüssel. Er schüttelte sie und es rasselte in ihrem Innern.
Schmuck, dachte Jonas, auch wenn er sich nicht sicher war.
Er stellte die Schatulle zurück an ihren Platz, schloss die Schublade und zog die nächste auf. Ein Stapel Heiligenbildchen verrutschte, ein paar Kerzen rollten rumpelnd auf ihn zu. Im Übrigen war die Lade leer. Jonas stapelte die kleinen
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