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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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war, wurden wir Mitglieder der Kolonie von Jamestown.«
    »Dort lebte ich lange Jahre. Dort wuchs ich zur Frau heran.«
    »Ich lehrte sie, die Sprache der Wälder zu verstehen. Die Sprache der uralten Tiergeister ermöglichte es ihr, eine völlig neue Welt zu entdecken. Virginia Dare war so, wie alle Wei ßen, die in diese Länder kamen, hätten sein sollen, und bald schlug in ihr das Herz der tiefen Wälder.«
    »Ich lauschte den Stimmen und begann sie zu verstehen.« Verträumt fügte sie hinzu: »Ich erhob mich in die Lüfte, war ein Adler, den nichts und niemand zu halten vermochte. Ich spürte die Winde unter meinen Schwingen und war frei wie das Leben selbst.«
    Scarlet nickte.
    Das war genau das, was sie empfand, wenn sie an die weiten Seen und die tiefen Wälder dachte.
    »Jetzt bin ich hier in New York, und ich tue, was immer mir beliebt.« Sie sah Scarlet neugierig an, und in Windeseile veränderte sich der Ausdruck in dem hübschen Gesicht. »Und wenn mir jemand in die Quere kommt, dann muss er dafür bezahlen.«

    »Aber warum?«, fragte Scarlet. »Was steckt hinter alldem?«
    »Das«, sagte Virginia Dare, »haben Sie doch schon bei Ihrem letzten Besuch erfahren wollen.« Sie seufzte. »Sie kamen zu mir, sind in mein Haus eingebrochen und haben mir all diese Fragen gestellt. So viele Fragen, auf die ich Ihnen keine Antwort geben konnte.« Gemächlich schritt sie den Gang entlang. »Ich habe mir einen Film angeschaut, denn das ist das Einzige, was mich mein Herz spüren lässt. Hausboot . Cary Grant und Gina Lollobrigida, ich mag diesen Film. Danach wollte ich His Girl Friday genießen. Doch Sie machten mir einen Strich durch die Rechnung. Sie kamen hierher und brachten nur Ärger mit.« Der Zorn in ihrer Stimme bekam eine neue Farbe. »Scarlet Hawthorne, ich wusste schon bei Ihrem ersten Besuch, dass Sie mit den Dreamings unter einer Decke stecken.« Ihre Augen versprühten Eis, als sie das sagte. »O ja, das überrascht Sie? Sie und Ihr Freund kamen hierher, nach Gotham, weil die Dreamings es Ihnen aufgetragen hatten. Ja, die Schlafwandler, in denen die Dreamings leben, haben Sie geschickt. Sie und diesen mutigen Krieger, der sein ganzes Leben hingab, damit Sie entfliehen konnten.« Sie schaute hinüber zu der Tür, die von den vertrockneten Pflanzen umschlungen war. »Sie hatten Master Van Winkle aufgesucht, bevor Sie zu mir kamen. Sie hatten sogar versucht, ihm ein Geheimnis zu entlocken und ihn zur Konspiration zu bewegen. Sie haben die Dreamings auf seine Spur gelockt und ihn damit seinem Schicksal überantwortet.«
    Scarlet erschauderte. »Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet.«
    »Sie tragen die Schuld an seinem Tod.«
    »Es gab schon vorher Eistote in der Stadt«, gab ich zu bedenken.

    »Sie haben nicht die geringste Ahnung, Mistress Atwood«, fuhr sie mir ins Wort. »Sie stolpern blind durch die Straßen dieser Stadt und sehen nicht, was doch offensichtlich ist.« Sie rang um Fassung. »Das Sterben begann schon viel, viel früher. Auf Roanoke Island, da hat es begonnen. Und jetzt passiert es wieder.«
    »Ich weiß nicht, was hier vorgeht«, sagte Scarlet.
    »Das ändert nichts daran, dass Sie etwas getan haben, was niemand mehr rückgängig machen kann. Es ändert nichts daran, dass Sie schuldig sind, Scarlet Hawthorne.«
    Scarlet war verwirrt.
    Irgendwelcher Dinge beschuldigt zu werden, die getan zu haben man sich nicht erinnern konnte, war befremdlich. Es hinterließ ein ungutes Gefühl der Leere. Die Dreamings hatten sie geschickt? Sie konnte sich nicht daran erinnern. Sie wusste nicht einmal genau, wer oder was die Dreamings waren.
    »Was wollte ich von Euch?«
    »Von mir?« Virginia Dare lachte laut auf. »Sehe ich so dumm aus, als würde ich Ihnen all das mitteilen, was Ihnen an Wissen fehlt? Dies ist kein Film, in dem der Bösewicht dem Protagonisten erklärt, was es mit allem auf sich hat.«
    »Sind Sie der Bösewicht?«, fragte Jake.
    »Gut und böse, schwarz und weiß«, fauchte sie. »Es ist nicht so einfach, wie es scheint. Gutes kann Böses erschaffen, und Böses, getan zur rechten Zeit, kann gute Dinge heraufbeschwören. Wer sagt denn schon, was gut ist und was böse? Es hängt alles vom persönlichen Standpunkt ab.« Sie reckte das Kinn und sagte: »Ich stehe hier. So ist das. Und all meine Handlungen vollziehe ich vor einem ehrbaren Hintergrund. Ich habe keine Skrupel. Ich weiß, was ich tue. Ich fühle keine Reue.«

    »Warum war ich hier?«, wiederholte Scarlet ihre Frage.

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