Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Wie auch immer ihr Leben ausgesehen haben mochte, sie hatte die Natur geliebt, das Leben unter freiem Himmel, das Gefühl von Gras und Wasser und Sonnenschein auf der Haut.
    Kurz schloss sie die Augen, da sie die natürliche Schneeluft nun riechen konnte. Der muffige Gestank in der U-Bahn hatte sie an etwas erinnert. An etwas, was einmal Teil ihres Lebens gewesen war.
    Meine Güte, das macht mich noch verrückt, dachte sie.
    Die Straßen lagen friedlich und verlassen da. Nur vereinzelt fuhr ein Wagen durch den frischen Schnee.
    Manna-hata lag auf der anderen Seite des mächtigen Flusses.
    Scarlet trottete geduldig und schweigsam neben mir her. Hing ihren Gedanken nach. Fühlte sich alles andere als gut. Sie spürte das Blut an ihren Händen, und die Gewissheit, dass jemand für sie gestorben sein könnte, riss ihr ohne Unterlass ein Stück ihres Herzens entzwei.
    »Es dauert nicht mehr lange«, sagte ich ihr.
    Sie nickte nur. »Und dann reden wir.«
    »Ja, Miss Scarlet, dann reden wir.«
    Der Winter war eine gefährliche Zeit.
    Man musste Augen und Ohren offen halten, wenn man sich durch Gothams Labyrinth bewegte.
    »Sieht ganz so aus, als würde uns niemand mehr folgen«, bemerkte Scarlet irgendwann, als die Academy of Music bereits hinter uns lag. »Vielleicht haben sie es wirklich aufgegeben.« Sie spürte ihre Kräfte schwinden, jeder Schritt kostete sie mehr Kraft als der vorherige. Zu viel war geschehen. Sie wollte sich nur noch an einem Platz, der sicher war, verstecken.
Und schlafen. Träumen. Die Welt für eine Weile beiseiteschieben.
    »Die Wendigo sind listig«, gab ich zu bedenken, spähte um jede Ecke und beschleunigte meine Schritte. Man konnte nie wissen. Die Nacht war lange schon nicht mehr so trunken vor Gefahr gewesen. »Wir sind bald da. Gleich dort drüben befindet sich die Myrtle Avenue.«
    »Und dort sind wir wirklich in Sicherheit?«
    »Vertrauen Sie mir.«
    Einige verirrte Schneeflocken stoben durch die Nacht und setzten sich leise ins ebenholzschwarze Haar meiner erschöpften Begleiterin, und als Scarlet dann an einem Schaufenster vorbeiging und ihr Spiegelbild erblickte, da sagte sie mit einem Mal etwas, was sie bis zu diesem Augenblick nicht einmal selbst vermutet hatte.
    »Ich habe gar kein schwarzes Haar.« Sie sah mich an. »Es ist gar nicht so, wie es aussieht.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Es ist gefärbt.«
    Ich starrte sie an. »Natürlich ist es das, es gibt kein Schwarz wie dieses in der Natur.«
    »Nein, nein, nein«, verbesserte sie sich eilig und aufgeregt, »das meine ich ja gar nicht. Es ist mir vorhin nicht aufgefallen. Ich hatte nur das Gefühl, dass irgendetwas nicht richtig ist.« Sie berührte ihr langes Haar und ließ es sich durch die Finger gleiten. »Es ist einfach nicht die Farbe, die zu mir passt.«
    »Die Farbe passt nie«, bemerkte ich, »wir kennen das doch.«
    »Nein, so habe ich das nicht gemeint.« Sie deutete auf ihren Flickenmantel. »Ich bin eher bunt, verstehen Sie doch.«
Sie wirkte mit einem Mal regelrecht aufgedreht. »Wenn ich mir das Haar färben würde, dann bestimmt nicht schwarz.«
    Ich machte ein langgezogenes »Hm«, sonst nichts. Dann trat ich näher an sie heran. »Darf ich?«, fragte ich und berührte ihr Haar.
    Es war weich und roch nach dem Winter, der noch vor uns lag.
    »Und?«
    »Die Färbung ist nicht sehr gut gelungen.« Ich betrachtete die Stellen, die mir aufgefallen waren. »Nein, gar nicht gelungen, sehen Sie doch!« Ich hielt ihr eine Strähne vor die Augen. »Nicht alle Stellen wurden gleichmäßig gefärbt.«
    »Sie meinen, sie wurden in Eile gefärbt?«
    »Hm, sehr hastig«, mutmaßte ich nur.
    »Warum färbt man sich die Haare, wenn man nicht will?«, dachte Scarlet laut nach.
    Ich zuckte die Achseln. »Um sich zu verändern? Um nicht mehr erkannt zu werden?«
    »Möglich.«
    »Haben Sie es selbst getan oder jemand anders?«
    Scarlet stand vor mir, in ihrem bunten Flickenmantel. »Woher soll ich das wissen? Die Erinnerungen sind fort.« Sie seufzte und trat mit dem Stiefel in den Schnee. »Es ist zum Verrücktwerden. Sie sind greifbar nahe, ich kann es fühlen. Und doch bekomme ich sie nicht zu fassen.«
    Ich legte ihr eine Hand auf den Arm. »Sie werden zurückkehren, da bin ich mir sicher.«
    »Na, Ihre Zuversicht möchte ich haben.«
    Ich zupfte sie sachte am Ärmel. »Nun kommen Sie schon. Lassen Sie uns endlich dorthin gehen, wo es sicher und warm und wirklich gemütlich ist. Es ist nicht mehr weit.«

    Sie musste

Weitere Kostenlose Bücher