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Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia

Titel: Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Hafen.
    »Wir sind schon da«, sagte ich.
    Scarlet betrachtete das Straßenschild.
    70 Mulberry Street, Ecke Bayard Street.
    » Es ist im zweiten Stock.«
    »Was?«
    »Das Portal zur Verbotenen Stadt.« Ich ging voran.
    Der Türsteher, ein dicker Chinese mit dunkler Mütze, sah uns äußerst ernst und böse an, als hätten wir bereits etwas verbrochen.
    »Wir möchten ins Museum«, sagte ich und legte das Geld auf den Tisch.

    Er strich es ein, ohne eine Miene zu verziehen. Zum Abschied starrte er uns nur hinterher, als wolle er uns allein mit seinen Blicken töten.
    Willkommen im Land des Lächelns , murmelte Buster.
    »Immerhin hat er uns nichts getan«, gab ich zu bedenken.
    Es ist so toll hier, ich bin hin und weg , entgegnete Buster.
    Dann schwieg er.
    »Im zweiten Stock«, erklärte ich Scarlet, während wir die engen Treppen hinaufstiegen, »befindet sich das Museum of the Chinese in America . Dort werden wir finden, was wir suchen.«
    Scarlet nahm es zur Kenntnis. Sie betrachtete die Bilder an den Wänden. Sie zeigten turmhohe Häuser und Gärten, in denen Kraniche standen. Es gab Bilder von Chinesen, die eine Eisenbahnstrecke verlegten, und Bilder von Chinesen, die in einem Bergwerk arbeiteten. Es gab Bilder von Drachen und Labyrinthen und anderen Dingen, die keinen Sinn ergaben und kaum mehr als Formen und Muster waren und dennoch lebendig wirkten, selbst als Tuschezeichnung.
    »Da sind wir!«
    Wir erreichten die Ausstellungsräume.
    Es gab nicht weniger als ein kurioses Sammelsurium von Gegenständen zu bestaunen, die die Menschen hier im Laufe der Jahre abgelegt hatten. Das meiste stammte wohl aus Privatbeständen. In den Regalen und auf den Tischen und in den Vitrinen wurden alle möglichen Dinge präsentiert, alles, was einmal zum Leben in diesem Viertel und anderswo gehört hatte. Seltsame Musikinstrumente, Kleidungsstücke, leichte Arbeiterpantoffeln, enge Lotusschuhe, Drachenspangen und Seidenspinnerstühle. Es gab Krallen von Raupen zu bestaunen, Bilder aus der Xia-Dynastie, lange Artikel aus den
Zeitungen von damals, Gekritzel, über dem die reißerischen Schlagzeilen der Zwanzigerjahre prangten, und Goldgräberanekdoten in Notizbüchern voll vergilbter brauner Seiten.
    Vor einem Tisch, auf dem eine Spieluhr stand, blieb ich stehen.
    »Wenn mich nicht alles täuscht«, sagte ich, »dann müssen wir hier durch.«
    »Durch die Spieluhr?«
    Ich schaute mich um, ob jemand da war, der uns mit argwöhnischen Blicken verfolgen konnte.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Manche Dinge weiß man eben«, antwortete ich ihr.
    Dann berührte ich die Spieluhr.
    Sie war aus Blech, kunstvoll bemalt, eine gewöhnliche Dose, auf der eine Stadt abgebildet war, deren hohe rote Mauern im Sonnenlicht glänzten. Nur an der Seite erkannte man einen Schlüssel, der fest in einer Öffnung steckte, die wie ein Tor aussah.
    Ich drehte den Schlüssel mehrmals um, so dass man im Innern der Dose ein Knacken von Mechanismen hören konnte. Winzige Zahnräder begannen zu laufen und Geräusche zu machen.
    Dann öffnete sich die Dose.
    Die Seiten klappten mit einem Surren auf, und Scarlet erkannte in der Dose eine Miniaturstadt, winzige Zinnen und Säulen und Treppen, alles in Blau, Rot, Gelb, Weiß und Schwarz, den Fünf Farben. Vor allem Rot und Gelb schimmerten im matten Licht der Deckenbeleuchtung wie kleine Geheimnisse. Die Tempel und Paläste zeigten die Glücksfarbe Rot, die mit dem Sommer, dem Süden und dem Feuer verbunden wurde. Die meisten Dachziegel waren gelb glasiert,
Symbol für die Erde und die Farbe des Kaisers, der dort herrschte, wo die Mitte der Welt war.
    In den vielen Höfen und auf den Gebäuden befanden sich winzig kleine Skulpturen, überall.
    »Der Kaiserpalast spiegelt die Sicht der Welt wider«, erklärte ich. »Man glaubte, dass die Welt quadratisch sei, und in ihrem Zentrum, davon war man überzeugt, läge China selbst.«
    Das Reich der Mitte , stellte Buster fest.
    »Du sagst es.«
    Tiersymbole sollten den Kaiser und sein Gefolge vor allerlei bösen Geistern beschützen.
    Kraniche, Löwen, Drachen, Schildkröten, Chimären aus allem, sie alle waren allzeit gegenwärtig.
    »Das«, sagte ich, »ist die Verbotene Stadt. Chinadowntown, sozusagen.«
    Die Mechanismen surrten, und die Figuren in der Miniaturstadt begannen sich zu bewegen. Ein warmer Sonnenschein ging von den vielen Farben aus. Scarlet sah, wie er ihre Kleidung benetzte wie Tau am Morgen. Sie sah, wie sich die vier Tore, von denen jedes in eine

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