Die uralte Metropole Bd. 4 - Somnia
Gestalt antwortete nicht. Sie trat vor und packte den Dämon, zerquetschte ihn zu einer Kugel und steckte sich diese dann in den Mund. Es war vorbei.
Der Kaiser dankte dem Fremden, und der Fremde sagte: Ich bin ein Geist. Nur ein Geist kann andere Geister fressen. Dann berichtete er, dass er in der Provinz Shanxi gelebt hatte. Er hatte sich der öffentlichen Beamtenprüfung unterzogen, war aber abgelehnt worden. So war er nach Beijing gewandert und hatte sich auf den Stufen des Palastes mit dem Halstuch das Leben genommen. Die Wachen, die ihn fanden, erzählten dem Kaiser von dem Toten. Und der Kaiser befahl, den Toten in eine grüne Robe kleiden zu lassen. Er wurde feierlich bestattet, was eine Ehre war, die nur der kaiserlichen Familie zustand.
Aus Dankbarkeit dem Kaiser gegenüber schwor der Geist des Mannes, auf ewig im Palast zu bleiben und die Mitglieder der kaiserlichen Familie und all ihre Nachkommen vor allen Geistern und Dämonen zu beschützen, die es wagen würden, der Familie Übles anzutun.
Der Kaiser dankte ihm erneut und erfuhr dann endlich seinen Namen: Zhang Kui.
Im Laufe der nächsten dreihundert Jahre vertilgte Zhang Kui noch viele böse Dämonen. Er tat es, um seinen Schwur zu erfüllen, und mit jedem Dämon, den er vertilgte, wurde er mehr und mehr zu einem goldenen Drachen.
»So steht es geschrieben, so wird es erzählt.« Madame Shan lächelte gütig. »Zu einem Drachen wurde er, wunderschön
und mächtig, zu einem Drachen, der Lug und Trug von der Wahrheit trennen kann wie kein anderer.«
Ich fragte mich, was diese Geschichte mit uns zu tun hatte.
Scarlet lauschte ihr jedenfalls ganz andächtig. Sie trug noch immer den Hut, den sie vorhin erstanden hatte. Er tauchte ihr Gesicht in wispernde Schatten, und die Augen, die mitten darin lagen, waren nicht zu erkennen.
Madame Shan deutete auf den großen Platz vor dem Palast. »Ihr seid in die Verbotene Stadt gekommen, obwohl Ihr wisst, dass die Verbotene Stadt ein Ort ist, den man nicht so einfach betreten darf.«
Scarlet warf mir einen Blick zu, der mehr sagte als Worte: Ich habe es Ihnen gesagt, Mistress Atwood. Verboten bedeutet, dass es verboten ist. Die Verbotene Stadt. Hätte man sich denken können, oder?!
Die Steine am Boden begannen sich zu bewegen. Sie senkten sich ab, und wir sahen, dass ein Labyrinth entstand.
»Der Drache, zu dem Zhang Kui wurde, lebt seit Jahrhunderten dort unten. Er nimmt denen, die sich in die Verbotene Stadt wagen, eine Prüfung ab.«
Scarlet spürte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.
Eine Prüfung? Das klang nicht gut. Nein, das hörte sich überhaupt nicht gut an.
Es klang nach Ärger.
»Wenn Ihr es durch das Labyrinth schafft, dann wartet am anderen Ende eine Antwort auf Euch.«
»Und wenn wir es nicht schaffen?«, fragte ich.
»Dann werdet Ihr von Zhang Kui aufgefressen. Ein jeder von Euch wird dann zu einer neuen goldenen Schuppe in seinem Panzer.«
Buster Mandrake war gar nicht begeistert von der Aussicht, gefressen zu werden.
Der Thron, auf dem Madame Shan saß, wurde wieder von roten Vorhängen verdeckt, und als der lau wehende Wind sie fortblies, da war auch Madame Shan verschwunden. Da war nur ein leerer Platz, wo vorher noch der Thron gestanden hatte.
Das war alles.
»Mist«, fluchte Scarlet.
So was , fiepte Buster.
Mit einem Mal sah es so aus, als würde der gesamte Palast, die gesamte Stadt in dem Labyrinth versinken. Steine und Mauern sackten weg, und wir stürzten in die Tiefe. Alles, was um uns herum gewesen war, wurde hinab in das Labyrinth gezogen. Der Palast verschwand, die vier Tore, überhaupt die ganze Verbotene Stadt.
Scarlet schrie.
Als auch sie den Halt verlor.
Und stürzte.
Sie war nicht die Einzige.
Als der Staub sich lichtete, da waren wir mitten im Labyrinth.
»Ich dachte, Madame Shan sei nett?«, fuhr Scarlet mich an. Sie klopfte sich den Staub vom Hut.
»Tja«, sagte ich nur.
Jetzt sind wir hier, machen wir das Beste draus , schlug Buster Mandrake vor.
»Die Göttin des Mitleids? So wird sie doch genannt.« Scarlet war wütend.
»So wird sie von den anderen Chinesen genannt.«
»Und das bedeutet? Was?«
Ich zuckte die Achseln. »Wir sind ja noch alle am Leben«, beruhigte ich sie.
Scarlet trat mit der Stiefelspitze in den Sand. »Na, immerhin.«
Sie irrt sich manchmal , flüsterte Buster, der jetzt an Scarlet hochkletterte. Er lächelte und legte die Ohren an. Darf ich ?
Sie ließ ihn gewähren.
Und er blieb auf ihrer Schulter
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