Die Vagabundin
Spitalmutter in einem Bett würde schlafen müssen! Niemals konnte das hier länger gutgehen, nur zu genau erinnerte sie sich an die unheilvolle Begegnung mit der Badmagd. Das Beste würde sein, dieser lieben, sanftmütigen Frau die Wahrheit zu gestehen und sie flehentlich zu bitten, Stillschweigen zu bewahren. Zumindest bis sie gesund war und sich auf den Weg nach Ulm machen konnte.
Lag es an der Krankheit, dass sie mit einem Mal unter der Anspannung, entdeckt zu werden, litt wie noch nie? Wie lange noch würde sie ihre Rolle als junger Mann, dieses Gaukelspiel, das ihr einstmals der Teufel selbst eingegeben haben musste, noch spielen können? Aber viel schlimmer war es ja für sie, Frau zu sein! Sie wusste bald selbst nicht mehr, was für ein Wesen sie war.
Eva schreckte aus unruhigem Schlaf auf und musste sogleich heftig niesen. Im Dämmerlicht des Abends erkannte sie die Spitalmutter, die einen dampfenden Krug und eine Holzschale mit Mus auf dem Schemel abstellte.
«Fein, dass du geschlafen hast. Jetzt musst ein bisserl was essen.» Die Frau wandte sich in Richtung Tür, wo eben der Knecht mit einem Strohsack auf dem Rücken eintrat. «Leg es hier an die Wand, Hannes, die Decke hol ich hernach selber.»
Immer noch schlaftrunken, blieb Eva der Mund offen stehen.
«Wir schlafen also nicht im selben Bett?»
«Sag bloß, du hättst das gern!» Die Barreiterin lachte schallend. «Nein, nein, so etwas! Da könnt ich fast deine Mutter sein, und du machst mir ein solches Angebot. Brauchst nicht rot werden, Adam.» Sie zog Eva am Ohr. «Um ehrlich zu sein: Ich tät sofort mit dir in einem Bett schlafen, so jung und ansehnlich, wie du bist. Aber, ach, ich bin halt doch eine ehrbare Frau und dazu im strengen Glauben aufgewachsen.»
Sie reichte ihr Löffel und Musschüssel und setzte sich auf den Bettrand. Der Schalk blitzte ihr jetzt aus den hellbraunen Augen.
«Fändest du mich denn gar nicht zu alt für einen wie dich?»
«Aber nein, nicht unbedingt», stotterte Eva, und das war nicht mal gelogen. Auf den zweiten Blick nämlich wirkte die Barreiterin wesentlich jünger als die dreißig Jahre, die sie zählte. Das lag daran, dass sie so oft und gern lachte, und an ihren klaren, schönen Augen.
«Wart Ihr denn nie verheiratet?» Vorsichtig schluckte Eva das lauwarme Mus hinunter.
«Schon. Aber nur kurz, vor vielen Jahren. Jetzt bin ich Witwe und kreuzfroh, dass dieser Kelch an mir vorüber ist. Weißt, wir Frauen gehören immer irgendwem: als Kinder dem Vater, als Eheweib dem Mann, als Nonne der Kirche. Nur als Witwe kann man ein Stückerl weit selbst bestimmen. Aber das verstehst du nicht.»
Dabei verstand Eva nur zu gut! Plötzlich spürte sie, wie sehr sie die Spitalmutter in der kurzen Zeit ins Herz geschlossen hatte.
«Heilige Anna – was fasel ich da rum, als wärst meine beste Freundin und nicht ein blutjunger Kerl! Man könnt meinen,ich sei geck geworden!» Die Barreiterin sprang auf. «Wenn du gegessen hast, wechsel ich dir das Hemd, damit wir deines waschen können. Es wird allerhöchste Zeit.»
«Nein!»
«Was heißt nein? Nur weil wir uns eben Schmeicheleien unter die Nase geschmiert haben, brauchst dich jetzt nicht so anstellen. Das, was ich vorher gesagt hab, war eh nur ein Scherz. Kranke sind Kranke, da schau ich nicht auf die Männlichkeit.»
«Ich mein ja nur – ich kann mich selbst umziehen. So krank bin ich schließlich auch nicht.»
Die Barreiterin zuckte die Schultern. «Wennst meinst. Aber glaub mir, ich hab schon mehr kranke Männer aus- und wieder angezogen, als du Hosen geschneidert hast.»
Eva gab ihr die leere Schale zurück und schnäuzte sich die triefende Nase. Krampfhaft dachte sie nach, wie sie diese gefährliche Klippe würde umschiffen können.
Die Barreiterin verließ das Zimmer und kehrte wenig später mit einer Wolldecke unter dem einen und einem sauberen Leinenhemd unter dem anderen Arm zurück. Sie legte alles auf den Schemel, dann schlug sie Evas Deckbett zurück. Augenblicklich täuschte Eva heftiges Zittern vor und begann erbarmungswürdig mit den Zähnen zu klappern.
«Mir ist so kalt», stammelte sie, zog die Decke wieder bis unters Kinn und entledigte sich, geschützt vor den Blicken der anderen, ihres Hemdes. Die Brustbinde hatte sie wohlweislich zuvor schon abgelegt, zusammengewickelt und in ihre Unterhose gestopft. Hoffentlich geht alles gut, betete sie innerlich, als sie die Hand nach dem frischen Hemd ausstreckte und es sich in Blitzesschnelle, der
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