Die Vampire
Eiswasser schmeckte.
Sein Lachen hallte durch die Nacht. Er versuchte es zu unterdrücken und dachte an zu Hause.
God Save the Queen … Britannia Rules the Waves … Dieu et mon droit … Ich liebe dich, Cat …
Die Räder schwebten nur noch wenige Fuß über dem Boden. Bombenexplosionen und Feuersäulen erhellten eine Landschaft, die wie der Mond mit Kratern und Löchern übersät war. Schon von oben hatte es übel ausgesehen, aus der Nähe aber wirkte es beängstigend. Wenn die RE8 hier landete, würde sie in Stücke gerissen, und der Aufklärer läge im Umkreis von hundert Yards über das Niemandsland verstreut. Was von ihm übrig bleiben würde, fände vermutlich bequem in einer Zündholzschachtel Platz.
Er richtete den Blick gen Himmel und sah dunkle Schatten kreisen. Ob der Baron ihn verfolgt hatte, um zu sehen, wie sein kleiner Scherz ausgehen würde? Winthrop hörte einen zweiten Motor. Es war also noch mindestens eine Snipe dort oben. Die Schlacht war noch nicht vorbei.
Er hatte keinen Zweifel, dass es sich bei dem Gestaltwandler, der Courtney getötet hatte, um Manfred von Richthofen handelte. Alles sprach dafür. Das rote Fell, der kalte, böse Blick. Kein anderer Boche konnte ein solches Monstrum sein.
Es war so weit. Seine letzten Augenblicke. Wenn er schon kein Vampir sein konnte, würde er seinen Mörder eben als Gespenst heimsuchen müssen.
Als er sich nur noch wenige Zoll über dem Boden wähnte, zerrte er am Steuerknüppel und zog die Rumpfnase nach oben. Die Räder berührten den Boden, doch das Heck bohrte sich in die Erde und wirkte wie ein Anker. Er wurde wie von der Hand eines Riesen in den Sitz geschmettert und durch das Cockpit geschleudert. Er glaubte, seine eigenen Knochen brechen zu hören. Mit lautem Kreischen ging die Harry Tate in Fetzen.
Erde spritzte ihm ins Gesicht. Die RE8 pflügte durch Niemandsland. Gerissene Seile peitschten jaulend durch die Luft. Ein Holm schlitzte den Rumpf. Die untere Tragfläche knickte und riss ab. Winthrop schlug die Arme über dem Kopf zusammen und wartete auf den Todesstoß.
19
Schlacht in den Wolken
U nter ihnen rissen die Männer des JG1 die britischen Snipes in Stücke. Stalhein und Stachel waren zur Beobachtung des Hahnenkampfes eingeteilt.
Sie hatten sich, unmittelbar nach dem Sprung vom Turm des Château du Malinbois, in luftige Höhen aufgeschwungen und schwebten nun über der Schlacht. Falls ein Brite zu entkommen
versuchte, stießen Stalhein und Stachel in die Tiefe, um der Flucht ein schnelles Ende zu bereiten. Eine wichtige und ehrenhafte Stellung, doch außerordentlich frustrierend für von unstillbarer Blutgier besessene Flieger.
Da Stalhein in dieser Höhe segeln konnte, nahm er nur hin und wieder seine Schwingen zu Hilfe, um die Position zu halten. Die Spannweite seiner oberen Flügel betrug etwa zehn Meter: die doppelte Länge seines Körpers, seinen Peitschenschwanz nicht mitgerechnet. Diese Spanne, die tragkräftige Stütze seiner verwandelten Gestalt, entsprach den Schultern und Armen seines Menschenkörpers. Zwischen Hüften und Handgelenken hatte er Membranen, die sich blähten und bauschten wie die Segel eines Schiffes. Die Muskeln, die sich um sein Brustbeinruder ballten, ermöglichten präzise Steuerung.
Die unteren Flügel bestanden aus verwandelten, mit Segeltuch verstärkten externen Rippen. Die kurzen, überaus praktischen Arme, die aus seinem Rumpf ragten und die an einem Harnisch um seinen Hals befestigte Parabellum-MGs bedienten, waren aus Fleisch und Knochen, die er nach Belieben wachsen lassen konnte. In dieser Gestalt zu fliegen, war zwar tückischer als eine von Tony Fokkers Jagdmaschinen zu steuern, doch Stalhein war wendiger und schneller als jedes Flugzeug.
Seine ledrige, mit dichtem Pelz bewachsene Haut schützte seinen Fledermausleib gegen die bittere Kälte. Siebenmeilenstiefel, so hoch wie seine Menschenbeine, waren an Knöcheln und Knien verhakt. Darüber hinaus trug er nichts als die Apparatur, die ihn zu einer fliegenden Waffe werden ließ. Verkeilte Hüftgelenke und verwachsene Wirbel schließlich machten sein Rückgrat unzerbrechlich.
Der Gestank von Schießpulver und brennendem Benzin, der mit dem Luftstrom herauftrieb, stach ihm in die großen, weiten Nüstern. Seine Ohren, riesige, mit einem wirren Adergeflecht
überzogene Schneckenmuscheln, registrierten das Stottern der Maschinengewehre, das stockende Jaulen der würgenden Motoren, ja selbst die Rufe der Piloten.
Eine Snipe
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