Die Vampire
Ist Ihnen das nicht aufgefallen?«
Doch.
»Es gibt noch andere Akteure«, fuhr Beauregard fort, »die in den Kulissen warten, im Schatten lauern. Buchstäblich Dutzende von einheimischen politischen oder religiösen Gruppierungen, die sich dem Kampf gegen die Vampire verschrieben haben,
ob im Untergrund oder halb legal. Dazu noch Kirchen und Banken und Glaubensgemeinschaften und dergleichen mehr. Der römische Papst und die Mutter der Tränen. Die Opfer sind allesamt Älteste. Es gibt in der Welt andere alte Kräfte, Institutionen, die ihre Geschichte hochhalten. Vielleicht sind einige davon neidisch und möchten keine Konkurrenz in Sachen Langlebigkeit. Heute gibt es nur eine Handvoll Älteste. Bald werden es wesentlich mehr sein, wenn die Neugeborenen der 1880er- und 1890er-Jahre sich an ihr Überdauern gewöhnen. Dann werden Vampirälteste eine bedeutsame Kraft darstellen. Vielleicht werden sie es sogar sein, die den Weg der Menschheit im nächsten Jahrtausend bestimmen. Die Herrschaft der Toten haben wir schon immer befürchtet.«
Bond nahm einen Schluck Brandy und ließ sich die Worte durch den Kopf gehen.
Draußen krachte etwas, im Hausflur. Die Wohnungstür zerbarst.
Er riss die Walther PPK aus ihrem Holster und ging in Lauerstellung wie eine Katze. Beauregard rollte nach hinten, zurück in die Schatten. Er würde auf den alten Herrn aufpassen müssen. Nicht dass sie ihn als Geisel nahmen.
Jemand Schweres walzte den Korridor heran und blieb in der Tür zum Arbeitszimmer stehen. Lehmfratze füllte den Türrahmen vollständig aus. Er hatte keine Waffen - nur seine gewaltigen Pranken. Sie waren wahrscheinlich tödlich genug. Bond feuerte zwei Schüsse in die teigige Masse seines Kopfes. Die Silbergeschosse schlugen mit einem Geräusch wie Kieselsteine ein, die in Schlamm geworfen wurden, und hatten ungefähr dieselbe Wirkung. Die Löcher schlossen sich wieder. Bond versuchte es mit der Herzgegend. Auch wirkungslos.
»Der Davidstern«, rief Beauregard.
Er zielte auf das Amulett, aber etwas krachte schnell gegen seinen
Arm und warf ihn um. Er bekam einen Tritt auf die Hand und verlor seine Waffe. Ein spitzer Fuß knallte ihm gegen die Schläfe.
Die Ballerina war über den Balkon gekommen.
Sie trat ihn immer wieder. Es war ein merkwürdiger Tanz, wahnsinnig und doch gelassen. Er verspürte richtigen Schmerz, als eine Art Rasiermesser durch seine Kleidung schnitt.
Er rollte mit den Tritten mit und packte einen Fußknöchel. Ihr Bein fühlte sich an wie kaltes Porzellan. Ihr Ballettschuh wies eine Vierzentimeterklinge aus Silber auf, die mit Knoblauch eingerieben war.
Das Messer näherte sich seinem Gesicht. Er brauchte seine gesamte Kraft, um es abzuhalten.
Als er hochsah, erblickte er ihr schönes, leeres Gesicht. Rot gemalte Kreise auf porzellanweißen Wangen, Augen, die langsam und uhrwerkartig blinzelten, dicke, gedrehte Locken.
Dieses zerbrechliche Püppchen besaß übermenschliche Kräfte.
Seine Ellbogen knickten ein. Das Messer berührte beinahe sein Auge.
Sie mussten ein detailliertes Dossier über ihn besitzen. Sein Blutgeschlecht war empfindlich gegen Knoblauch.
»Entschuldigen Sie, junge Frau«, sagte Beauregard.
Der alte Herr hatte die Walther aufgehoben und kam mit dem Rollstuhl durchs Zimmer, schob den Teppich in Falten dabei. Er klopfte mit der Pistole gegen das ausgestreckte Bein der Ballerina und hielt ihr den Lauf ans Knie.
Der Gesichtsausdruck der Ballerina änderte sich nicht.
Beauregard zog den Abzug durch. Die Lautstärke des Schusses war enorm, ohrenbetäubend. Die Waffe hüpfte in den Händen des alten Herrn und stieß ihn in seinen Rollstuhl zurück.
Das Knie der Ballerina explodierte. Porzellanscherben flogen in alle Richtungen. Geölte Drähte glitten in der Wunde auf und ab.
Getriebe und Zahnräder ergossen sich aus der berstenden Öffnung. Die untere Hälfte ihres Beines löste sich.
Sie hüpfte rückwärts, immer noch vollendet im Gleichgewicht. Drähte entrollten sich aus ihrem losen Schienbein, spannten sich und rissen Bond den Fuß und den Knöchel aus den Händen. Klares Öl ergoss sich auf den Teppich.
Die Ballerina war ein mechanisches Spielzeug. Das gesamte Dreierteam hatte etwas Künstliches.
Bond kam rasch wieder auf die Füße. Der Instinkt hatte übernommen. Seine Fänge waren voll ausgefahren, seine Blutgier kochte. Kaum dem Tode entronnen, musste er sich nähren. Durch die Verwandlung und das Training waren seine Schaltkreise neu verdrahtet worden.
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