Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Mühe, dich ausfindig zu machen, aber hier bin ich. Du freust dich doch, die Reise mit einem alten Freund zu unternehmen?«
Viele Male hatte sich der Mond gerundet und war dann wieder schwach und dünn geworden, nur um wenig später mit neuer Kraft die Wüstennächte zu erhellen. Der Winter hatte eingesetzt, und die Karawane überstand die endlosen Strecken zwischen den Oasen am südlichen Rand der Taklamakan, indem sie den Packtieren große Blöcke gefrorenen Trinkwassers aufluden. Der Marsch über die Sanddünen war eine elende Schinderei, aber jeder einzelne der Männer zog die beißende Kälte des Winters, vor der sie sich mit dicken Pelzen schützten, der grauenhaften Sommerhitze vor, in der das Blut dick in den Adern floss und die Trugbilder sie in den Wahnsinn trieben.
Pesakk stapfte im Windschatten seines Kamels hinter seinem Vordermann her. Die Entbehrungen und Anstrengungen der vergangenen Monate hatten ihn bis auf die Knochen abmagern lassen, und auch die anderen Männer und die Tiere sahen den Skeletten, die den Wüstenwanderern als Wegweiser dienten, ähnlicher als lebendigen Wesen.
Am Kopf der Karawane konnte Pesakk Boboni erkennen, der gestenreich auf den Sabao einredete. Beide ritten, sie waren die Einzigen, die nicht zu Fuß gingen. Es war dem verschlagenen Boboni gelungen, sich das Vertrauen des Karawanenführers zu erschmeicheln. Obwohl sich Boboni ihm, Pesakk, gegenüber freundlich verhielt, mied dieser seine Gegenwart. Am Anfang der Reise hatte Boboni ihn mehrfach nach der zerbrochenen Pferdefigur gefragt, aber Pesakk hatte behauptet, sie in Wuwei verkauft zu haben. Er hatte nicht vor, sich von dem sicher in den Packtaschen seines Kamels versteckten Schatz zu trennen.
Der Sabao gab das Zeichen zum Halten. Menschen und Tiere verhielten ihre Schritte. Die Tiere warteten apathisch, bis ihre Führer ihnen die Packtaschen, Seidenballen und Satteldecken abgenommen hatten, dann zerstreuten sie sich, um zwischen dem Schotter der windgepeitschten Ebene nach erfrorenen Halmen zu suchen.
Aus der Ladung seines Tieres und einigen größeren Steinen baute Pesakk eine niedrige Mauer, dann legte er die Planken des Tragegerüsts auf den Boden und breitete einen Teppich und Decken darauf aus. Er kramte einen Streifen Trockenfleisch aus seinem Proviantsack und ließ sich auf das Lager sinken. Es war der vorletzte Streifen, aber er machte sich deshalb keine Sorgen: In wenigen Tagen würden sie die Khotan-Oase erreichen und eine längere Rast einlegen, um die schlimmsten Stürme des Winters vorüberziehen zu lassen und wieder zu Kräften zu kommen. Er freute sich auf die Gasthäuser der Stadt, auf die Tänzerinnen und die wärmenden Feuer. Khotan war die Verheißung, die ihn und seine Kameraden trotz ihrer Erschöpfung einen Fuß vor den anderen setzen ließ, tagaus, tagein – eine Märchenstadt, die in greifbare Nähe gerückt war. Boboni schlenderte herüber und setzte sich neben ihn.
»Du hast noch Trockenfleisch?«
»Wenig. Möchtest du ein Stück?«
»Nein, vielen Dank. Aber würdest du gern frisches Fleisch essen? Einer der Jäger hat mit der Armbrust ein Wildschaf geschossen. Es ist nicht genug für alle, deshalb haben sie nur ihre Freunde eingeweiht und bereiten das Argali etwa ein li von hier entfernt zu.«
»Weshalb lädst du mich ein?«, fragte Pesakk misstrauisch.
Boboni legte ihm den Arm um die Schultern. »Weil wir ein paar Geheimnisse teilen, mein Äffchen, deshalb.«
Ein ganzes Wildschaf. Pesakk lief das Wasser im Mund zusammen. Es war mindestens zwei Monde her, seit er frisch geröstetes Fleisch gegessen hatte. Seine Nase gaukelte ihm bereits den Duft des brutzelnden Fetts vor. »Ich begleite dich«, sagte er entschlossen.
Kurz darauf schlichen zwei dunkle Schatten in Richtung Norden aus dem Lager.
Die Pferde, Esel und Kamele waren beinahe fertig beladen, als Pesakks Fehlen bemerkt wurde. Sein Lagernachbar fragte herum, aber niemand hatte ihn gesehen, seit er sich auf seine Decken zurückgezogen hatte. Pesakk war ein Einzelgänger, unauffällig und schweigsam, und da er seine Arbeit gewissenhaft ausführte und hervorragend mit den Tieren umgehen konnte, hatte man ihn in Ruhe gelassen. Nach einer kurzen, erfolglosen Suche zog die Karawane davon.
Boboni zerrte Pesakks Kamele hinter sich her. Er war zufrieden mit sich. Irgendwann würde jemand über Pesakks Knochen stolpern und sie dazu benutzen, einen neuen Wegweiser aufzutürmen. So war das Schicksal vieler
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