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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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beiden, ihn in das Kloster zu begleiten.
    »Was kann ich für euch tun?«
    »Unser Vater ist vor zwei Nächten gestorben. Er war sehr krank, und die Wüstendurchquerung ist zu viel für ihn gewesen. Er war ein gläubiger Buddhist«, sagte der junge Mann beinahe trotzig.
    »Das ist gut für ihn«, antwortete der Abt. Er hatte keine Idee, worauf der Mann hinauswollte.
    »Wir haben seine Leiche bei uns. Meine Schwester und ich haben es nicht übers Herz gebracht, ihn in der Wüste liegen zu lassen. Er soll nach den buddhistischen Riten bestattet werden.«
    »Da seid ihr bei mir richtig.«
    Der Abt beobachtete den jungen Mann, und plötzlich fiel ihm auf, warum dessen Gesicht ihn so irritiert hatte: Sein linkes Auge war von einem strahlenden Grün, das rechte dunkelbraun.
    »Er hat sich eine Feuerbestattung gewünscht«, flüsterte das Mädchen, »aber wir haben kein Geld.«
    »Das ist ein Problem. Das Kloster hat kaum noch Reserven, und wir müssen das Holz selbst teuer einkaufen«, sagte der Abt. Er hätte den beiden das Holz für die Feuerbestattung gern überlassen, aber in der letzten Zeit waren mehr und mehr der armen Einwohner von Li Xie mit der gleichen Bitte an ihn herangetreten. Er hatte sie abweisen müssen.
    »Wir haben kein Geld, aber Vater hat mir dies hier gegeben, kurz bevor er starb. Wir sollten es verkaufen, wenn wir keinen anderen Ausweg mehr sehen. Nehmt Ihr es als Bezahlung?«, fragte der junge Mann und drückte dem Abt ein kleines, abgegriffenes Kästchen in die Hand.
    Der Abt löste das Band, mit dem es umwickelt war, öffnete das Kästchen und nahm eine kleine Pferdefigur heraus.
    »Was ist das? Und wo ist die andere Hälfte?«
    »Ich weiß es nicht. Vater hat es von Großvater bekommen und der wiederum von seinem Vater. Die Jade ist von sehr guter Qualität, und die Figur ist mit goldenen Schriftzeichen bedeckt, also wird sie wohl einiges wert sein. Wird es ausreichen?«, fragte der junge Mann.
    Der Abt spielte unentschlossen mit der Figur herum. Der Junge hatte recht, das Jadepferd war sicherlich sehr wertvoll, aber was sollte er hier, in der sterbenden Stadt, mit diesem unsinnigen Ding? Hinzu kam, dass ihm die Figur nicht gefiel. Sie strahlte etwas Unheimliches, beinahe Unheilvolles aus. Vielleicht lag es an dem Rubinauge, dessen tiefes Rot ihn an einen Blutstropfen erinnerte. Trotzdem fiel es ihm schwer, sich der Faszination des zerbrochenen Pferdes zu entziehen. Der Abt seufzte. Aus Liebe zu ihrem Vater wollten die Geschwister ihm ihren wertvollsten Besitz übergeben. Es war Fügung, dass die Figur den Weg in sein Kloster gefunden hatte.
    »Ich nehme sie«, sagte er nach einer Weile. »Dafür erhaltet ihr ausreichend Holz. Außerdem wird das Kloster euch und eure Freunde für drei oder vier Tage beherbergen.«

    Sie verbrannten den Leichnam des Vaters noch am selben Tag, und der Abt leitete persönlich die vorgeschriebenen Gebete, Fürsprachen und Meditationen. Am Nachmittag des nächsten Tages versammelten sich sämtliche Einwohner von Li Xie auf dem Marktplatz, um die Artisten zu sehen, selbst die Mönche und Soldaten hatten sich vollständig eingefunden. Der Abt stellte sich neben den chinesischen Kommandanten, und beide genossen das Spektakel ebenso wie das einfache Volk.
    Der Zwerg und seine Truppe hatten sich herausgeputzt und sogar die Tiere mit Federn und glitzerndem Tand geschmückt. Mit angehaltenem Atem verfolgte das Publikum die halsbrecherische Vorstellung des Seiltänzers, die Kapriolen des Zwergs, der mit Saltos und Überschlägen zwischen den Rücken zweier geduldiger Kamele hin- und hersprang, die grazilen tanzenden Pferde und den tapsigen Bären. Der erklärte Liebling aller war jedoch der starke Mann: Unter dem Johlen der Menge hob er einen Esel über seinen Kopf. Der Abt war beeindruckt, obwohl es nur ein kleiner Esel war.
    Der Kommandant brachte seinen Mund nah an das Ohr des Abts. »So einen könnte ich gut als Soldaten gebrauchen!«, rief er laut, um die begeisterten Ausrufe zu übertönen.
    »Nehmt den Jongleur dazu, er kann mit den Köpfen der Tibeter seine Tricks vorführen«, gab der Abt zurück.
    Der Kommandant lachte. »So weit ist es gekommen: Die chinesische Armee wünscht sich die Unterstützung von dahergelaufenen Gauklern.«
    Der Lärm klang ab, und sie konnten ihre Unterhaltung in normaler Lautstärke fortsetzen.
    »Hat der König von Khotan auf Euren Brief geantwortet?«, fragte der Abt.
    »Nein. Wenn nicht bald mehr Truppen, Proviant und Waffen geschickt

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