Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
tausendfach geübten Bewegungen streute er farbige Zuckerstreusel darauf, die sofort schmolzen. Es folgte ein Klecks Marmelade, dann steckte er drei dünne Stöckchen in die Masse und gab die Süßigkeiten einem jungen Pärchen.
»Das schmeckt gut«, sagte Li Yandao. »Möchtest du es versuchen? Es ist aus Reismehl gemacht.«
»Gern.«
Der Mann nickte knapp, als Li Yandao ihm seine Bestellung zurief, und hob die Augen nicht von der Arbeitsplatte. Marion und Li Yandao schoben sich nach vorn, um den Mann besser beobachten zu können. Ihre Hände berührten sich zufällig. Marion tat so, als hätte sie es nicht bemerkt. Li Yandao nahm seinen Mut zusammen, ergriff ihre Hand und drückte sie leicht. Sie erwiderte den Druck und ließ ihn nicht los. Die Welt schien für einige magische Sekunden stillzustehen.
Die Morgendämmerung war nur zu erahnen, als Li Yandao die Augen aufschlug. Das leise Piepen seiner Armbanduhr hatte ihn geweckt. Acht Uhr, er musste aufstehen. In dem schwachen Licht, das von der Straße tief unter ihnen bis zu ihrem Zimmer im achten Stock heraufdrang, konnte er Ma Li Huo kaum sehen. Er lächelte. Er hätte sie auch bei vollem Tageslicht nur schwer entdeckt, weil sie sich bis zur Nasenspitze in ihre dicke Bettdecke eingemummelt hatte. Sie hatte seinen Wecker nicht gehört und schlief ruhig weiter. Nur noch fünf Minuten, dachte er und kuschelte sich an ihren warmen Körper. Sie gab einen schnurrenden Laut von sich und legte ihre Hand auf seinen Bauch. Am liebsten hätte er die Hand genommen und ein bisschen tiefer hinuntergeschoben, aber er riss sich zusammen. Ma Li Huo würde noch länger in China bleiben, und heute hatte seine Arbeit Vorrang. Seine Kollegen in Xi’an waren erfreut gewesen, als er seine Hilfe anbot. Die Chance, einen hochkarätigen Kunstschmuggler zu fassen, sorgte für Aufregung, und wenn sie Nikolai in die Hände bekamen, war es nur eine Frage von Tagen, bis sie auch den Mörder von Yakub Siddiq verhaften konnten.
Li Yandao küsste Ma Li Huo auf die Nasenspitze und schlug bedauernd die Decke zurück. Leise schlich er ins Bad und stellte sich unter die heiße Dusche. Als er fertig angezogen war, setzte er sich auf den Bettrand und schüttelte Ma Li Huo leicht.
»Ma Li Huo, ich fahre jetzt«, flüsterte er in ihr Ohr.
Sie murmelte etwas Unverständliches und bewegte sich. Ohne die Augen zu öffnen, suchten ihre Hände seine Taille und hielten ihn fest. Er räusperte sich. »Wir sehen uns spätestens heute Nachmittag. Wenn du mich sprechen willst, ruf mich auf dem Handy an. Die Nummer liegt auf dem Schreibtisch.«
»Du kommst auch ganz bestimmt wieder?«, fragte sie mit schlaftrunkener Stimme. »Sonst lasse ich dich gar nicht erst fort.«
»Falsch: Ich lasse dich nicht wieder fort.«
»Hört sich gut an.«
Li Yandao stand auf. »Du bist wundervoll, Ma Li Huo«, sagte er und verließ den Raum.
* * *
Zur Mittagszeit desselben Tages stellte sich Liu Xinrong ans Ende einer kurzen Schlange, die sich vor der kleinen Wechselstube in der Ankunftshalle des Flughafens gebildet hatte. Als er an der Reihe war, grüßte er die Angestellte hinter dem Tresen freundlich. Er kannte sie schon lange. Wie die meisten Taxifahrer, die regelmäßig den Flughafen anfuhren, wechselte er bei ihr die ausländischen Scheine, die er von seinen Kunden als Trinkgeld bekam, wenn sie kein chinesisches Kleingeld hatten. Auch heute hatte er ein Bündel mit einer Mischung aus osteuropäischem und asiatischem Geld dabei. Die Dollars und Euros verwahrte er zu Hause: Vielleicht würde er sie eines Tages benötigen. Er schob der Angestellten das Bündel zu und hoffte, dass sie alles eintauschen würde.
Die Frau sortierte das Geld zu mehreren Haufen. Drei der Scheine gab sie ihm mit einem spöttischen Blick zurück.
»Wer hat dir die angedreht? Obervolta? Habe ich noch nie gehört.«
»Ich auch nicht. Dann wandern sie eben in meine Sammlung.«
Sie sortierte weiter, bis sie plötzlich stutzte und einen Schein hochhob.
»Das ist usbekisches Geld.«
»Ja und? Usbekistan wirst du wohl kennen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das wechseln darf. Ich frage meinen Chef.«
Sie griff nach dem Telefon und sprach leise hinein. Liu Xinrong wunderte sich. Er hatte noch nie erlebt, dass die Frau Aufhebens um eine einzelne Banknote machte. Sie akzeptierte sie oder nicht, basta. Er und die anderen Taxifahrer hatten sich nie beschwert, weil sie dankbar waren, dass sie die winzigen Summen überhaupt getauscht bekamen.
Die
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