Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Erdnüssen und getrockneten Chilischoten. » Gongbao jiding. Echtes Dynamit.«
Marion fischte eine Chilischote von der Platte und hielt sie sich so dicht vor die Augen, dass sie schielte. »Sieht harmlos aus«, stellte sie fest und biss die Hälfte ab. Provozierend kaute sie auf der Schote herum, ohne eine Miene zu verziehen.
Li Yandao nahm ebenfalls eine der Chilis, verschluckte sich und begann zu husten.
»Ich dachte, ihr Chinesen seid so hart im Nehmen?«
Er zog ein Gesicht. »Nicht so hart wie Sie. Ich würde es mir nicht zutrauen, in einem Land umherzureisen, dessen Sprache ich nicht verstehe. Sind Sie eigentlich immer allein unterwegs? Ich stelle mir das sehr einsam vor.«
»Bisher bin ich mit meinem Ex-Freund gereist, aber …« Marion suchte nach Worten.
Betreten sah Li Yandao zur Seite. »Ich wollte nicht indiskret sein.«
»Es ist schon in Ordnung. Im Großen und Ganzen geht es mir gut.«
Taktvoll wechselte er das Thema und fragte Marion über Deutschland aus. Sie ging dankbar darauf ein.
Marion dachte darüber nach, wie alt Li Yandao wohl sein mochte. Sein Gesicht war rund, mit vollen Lippen, einer unauffälligen Nase und fast schwarzen Augen, die hellwach aus den selbst für einen Chinesen ungewöhnlich schmalen Augenschlitzen blitzten. Einige graue Strähnen ließen vermuten, dass er die dreißig schon überschritten hatte. Er hatte sich die Haare schneiden lassen, seit Marion ihn das letzte Mal gesehen hatte. Seine modisch-verwegene Frisur erinnerte sie eher an einen japanischen Surfer als an einen seriösen Kommissar, aber sie passte zu ihm. Seinen abgetragenen Dienstanzug hatte er gegen gutsitzende Jeans, neue Halbschuhe und einen sportlichen roten Rollkragenpullover eingetauscht. Er sah ausgesprochen gut aus.
Li Yandao unterbrach ihre Überlegungen. »Wollen Sie noch ein Bier, Ma Li Huo?«
»Warum nicht? Wenn ich für den Heimweg polizeilichen Geleitschutz erhalte?«
»Das kann ich arrangieren.«
Li Yandao war von Ma Li Huo bezaubert. Sie war eine amüsante Erzählerin, und ihre lebhafte Mimik brachte ihn zum Lachen. Sie hatte endlich ihre komische Mütze abgesetzt, und weiche hellbraune Haare flogen ihr bei jeder Bewegung ins Gesicht. Sie hatte sogar einen dezenten Lippenstift benutzt. Die Unruhe, die sie zu Beginn des Abends ausgestrahlt hatte, war verflogen.
Beide hatten es bisher vermieden, über den Mord und den Einbruch zu sprechen, und Marion hatte sich dazu durchgerungen, den Taschendiebstahl nicht zu erwähnen. Es widerstrebte Li Yandao, die Leichtigkeit ihres Gesprächs zu zerstören, doch andererseits musste er es ausnutzen, dass sie nicht auf der Hut war. Als er ihr ein frisches Glas Bier einschenkte, lenkte er die Unterhaltung vorsichtig auf seine Arbeit.
»Wollen Sie wissen, wie wir mit der Untersuchung des Mordes vorankommen?«
»Natürlich. Ich habe nicht gefragt, weil ich annahm, dass Sie nicht darüber sprechen wollen. Oder dürfen. Haben Sie mittlerweile eine Idee, wer es gewesen sein könnte?«
»Nein, aber wir haben die Identität des Toten festgestellt. Er stammt aus einem Dorf in der Khotan-Oase, und es gibt dort aus seiner Jugendzeit eine Polizeiakte über ihn. Kleinigkeiten. Ein Einbruch in einen Haushaltswarenladen, eine Schlägerei mit Freunden.«
»Einbruch? Ich hätte nicht gedacht, dass Sie einen Einbruch als Kleinigkeit abtun.«
»Er war so dumm, in den Laden eines Verwandten einzusteigen. Die Polizei erfuhr nur davon, weil sein Vater und sein Onkel ihn krankenhausreif geprügelt hatten. Ich habe mit dem Kollegen telefoniert, der sich damals um die Sache kümmerte. Er konnte sich noch gut daran erinnern, weil er Mitleid mit dem Jungen hatte, der damals erst dreizehn Jahre alt war. Mein Kollege hatte zwar seine Fingerabdrücke genommen, aber nichts weiter in die Wege geleitet. Der Junge war seiner Meinung nach schon genug bestraft worden.«
»Das hört sich nach einer intakten, liebevollen Familie an.«
»Deshalb ist er wohl auch mit neunzehn nach Yengisar gezogen und hat dort sechs Jahre lang in einer der Messermanufakturen gearbeitet.«
»Messermanufakturen?«
»Haben Sie auf dem Sonntagsmarkt die Messer mit den bunten Griffen gesehen?«
»Ja.«
»Die Messer stammen alle aus Yengisar.«
»Ach so. Und wie ging es weiter?«
»Vor zwei Jahren hat er gekündigt. Weil er seitdem nicht gearbeitet hat, ist es schwierig, seine Spur zu verfolgen. Ich habe keine Ahnung, wie er sich durchgeschlagen hat, aber ich schätze, wenn wir es herausfinden,
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