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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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registriert, also weiß der Russe nicht, wo ich abgestiegen bin. Der Kommissar hat das Paket vor drei oder vier Tagen erhalten, und im ungünstigsten Fall ist die Täuschung am selben Tag aufgeflogen. Das heißt, sie suchen mich seit mindestens drei Tagen auch außerhalb Urumqis. Der Russe wird schnell herausbekommen haben, dass ich nicht am Himmelssee bin, aber ich könnte mich schließlich in jedem kleinen Kaff zwischen hier und Kashgar verstecken«, schloss sie.
    »Hoffen wir das Beste«, sagte Jenny. »Und wie geht es weiter?«
    »Ich dachte, ich kaufe mir ein paar neue Sachen, die mich nicht gleich als Touristin zu erkennen geben. Eine Winterjacke aus chinesischer Herstellung oder so etwas.«
    Als sie das Lokal verließen, legte Jenny ihren Arm um Marion. »Kopf hoch, dieser Russe wird dich nicht aufstöbern«, sagte sie. »Es sind ja nur noch drei Tage.«
    * * *
    Zur gleichen Zeit klingelte das Telefon im Büro des Professors. Er nahm den Hörer ab. »Guten Morgen, Professor«, erklang Nikolais Stimme am anderen Ende, »sie ist in Xi’an.«
    »Schnapp sie dir. Wenn sie China mit der Figur verlässt, wird es kompliziert.« Der Professor machte eine Pause. Es war das erste Mal, dass Nikolai ein Fehler unterlaufen war, und er musste einfach immer wieder darauf herumreiten. »Wie konnte sie überhaupt herausfinden, dass du hinter ihr her bist? Ich bin enttäuscht, Nikolai. Sehr enttäuscht. Von einer Touristin ausgetrickst zu werden, sollte dir peinlich sein.«
    Die Stimme des Russen blieb ruhig. »Die Frau ist klug. Ich hasse es, hinters Licht geführt zu werden, aber ich bewundere ihren Mut. Sie hat es geschickt angestellt, sich aus Turfan davonzustehlen, ohne dass ich es gemerkt habe.«
    »Schön. Wenn sie dir Respekt abnötigt, unterschätzt du sie nächstes Mal wenigstens nicht.«
    Der Professor knallte wütend den Hörer auf die Gabel. Die Affäre entwickelte sich langsam zu einer Katastrophe. Wäre nicht so viel Geld im Spiel, hätte er die Sache längst fallenlassen.
    Er zog einen Bildband aus dem Regal neben seinem Schreibtisch und schlug ihn an einer markierten Stelle auf. Nachdenklich vertiefte er sich in eine kleine Schwarz-Weiß-Abbildung. Das Foto zeigte die hintere Hälfte einer Pferdefigur. Die Bildunterschrift lautete:
Fragment eines mit Gold eingelegten Pferdes aus Jadeit, frühe westliche Han-Dynastie. Höhe 6,5 cm, Länge 7,2 cm. Fundort: Chang’an (bei Xi’an)
Es handelt sich vermutlich um die Legitimation des Generals Li Guangli. Die Schriftzeichen weisen auf die Westkampagne des Han-Kaisers Wu Di (140 bis 87 vor Chr.) hin, sind aber unvollständig. Die Zeichen sind von links nach rechts zu lesen. Damit wurde gewährleistet, dass der Text nur verständlich ist, wenn die ergänzende vordere Hälfte der Figur angefügt wird. Die Erwähnung eines »Schatzes« hat in wissenschaftlichen Kreisen Anlass zu unterschiedlichsten Mutmaßungen gegeben. Die vordere Hälfte wurde nie gefunden.
    Nie gefunden? Der Professor hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. Die vordere Hälfte lag im Gepäck einer deutschen Touristin, die an Krücken ging und ihn und Nikolai zum Narren hielt.
    Er musste dieses Jadepferd haben. Anderthalb Millionen Dollar waren auch in seiner Branche ein königliches Honorar. Der Professor schüttelte den Kopf. Es war ihm nach wie vor ein Rätsel, warum sein Kunde bereit war, diese Summe zu zahlen. Der Preis für die Figur war unangemessen, aber der Professor hatte keine Fragen gestellt, als die Mittelsmänner mit der Offerte an ihn herangetreten waren. Der Kunde war entweder ein verrückter Sammler oder den Spekulationen um den Schatz aufgesessen. Er selbst jedenfalls hielt die wilden Theorien für ausgemachten Blödsinn.
    Er schlug das Buch zu. Nikolai musste der Frau das Jadepferd abnehmen. Gleichgültig, mit welchen Mitteln.
    * * *
    Als sie mit dem Taxi die Straße zwischen dem Zentrum und dem Südtor entlanggefahren war, hatte Marion die vor den Luxusboutiquen kauernden Bettler nicht sehen können. Entsetzt blickte sie jetzt auf eine grauhaarige alte Frau hinab, die in einem Kotau erstarrt auf dem eiskalten Pflaster kniete und die Hände ausstreckte. Marion kramte in ihrem Portemonnaie nach Kleingeld und legte es neben die Frau. Ein kleinwüchsiger Mann mit nur einem Arm winkte Marion zu sich und bat ebenfalls um ein Almosen. Als sie ihm einen Yuan in die verbliebene Hand drückte, schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln. Marion lächelte zurück, aber sie fühlte sich unwohl.

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