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Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)

Titel: Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Dies waren die Menschen, die im modernen China keinen Platz mehr fanden.
    Greg und Jenny waren schon weitergegangen, nachdem auch sie ein paar Yuan-Scheine verteilt hatten. Als Marion die beiden eingeholt hatte, zeigte Greg auf ein wuchtiges, mehrstöckiges Gebäude im Zentrum eines Kreisels. Das alte Gebäude mit seinen von rotlackierten Säulen getragenen Galerien und dem eleganten, an den Ecken in kühnen Bogen ausschwingenden Dach stand in einem starken Kontrast zu den nüchternen Bürohäusern, Hotels und Einkaufszentren in der näheren Umgebung. Es ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass man sich trotz aller Modernisierungswut in China befand.
    »Das ist der Glockenturm«, erklärte Greg. »Er wurde ursprünglich in der Ming-Dynastie erbaut, im späten vierzehnten Jahrhundert, aber an einer anderen Stelle. Was mit ihm passiert ist, weiß ich nicht. Siebzehnhundertsonstwas wurde der Turm jedenfalls hier wieder aufgebaut. In dem Turm befindet sich eine große Glocke, die früher die Uhrzeit angezeigt hat.« Er unterbrach sich. »Ich Dussel. Ich hatte ganz vergessen, dass du ja schon mal hier warst.«
    Marion lachte. »Kein Problem, Herr Reiseleiter. Erstens ist es fünf Jahre her, und zweitens hatte ich die Details längst nicht mehr parat.« Dann wies sie auf den Verkehr, der um das Gebäude tobte. »Der Turm hat sich nicht verändert«, bemerkte sie. »Aber heute gibt es viel mehr Autos. Habt ihr eine Idee, wie wir lebend auf die andere Straßenseite kommen?«
    »Kein Problem. Es gibt eine Unterführung. Hier entlang.«
    »Siehst du? Die hatte ich auch vergessen«, sagte Marion. Gleich darauf tauchten sie über eine breite Treppe in den Untergrund hinab.
    Auf der Dong Dajie, der Hauptgeschäftsstraße der Stadt, kamen sie wieder an die Oberfläche. Marion staunte: Auf den breiten Bürgersteigen schoben sich unzählige Fußgänger an Restaurants, Kaufhäusern und Kinos vorbei. Menschentrauben bildeten sich um die Straßenhändler, die kandierte Früchte, Kaninchen und billiges Spielzeug verkauften. Junge Frauen in eleganten Kostümen strebten in die schicken Cafés und Boutiquen.
    In den fünf Jahren seit ihrem letzten Besuch hatte sich vieles verändert; die Straße war bunter, lauter, lebendiger und vor allem westlicher geworden. Die Chinesen verdienten mehr Geld, und sie gaben es bereitwillig aus. Eine Studentin mit grün gefärbten Haaren erregte Marions Aufmerksamkeit. Überrascht stellte sie fest, dass die anderen Passanten von dem Mädchen keinerlei Notiz nahmen. China verändert sich wirklich rasant, dachte sie. Vor einigen Jahren hätte das Mädchen noch einen Skandal heraufbeschworen.
    Während sich Marion, Jenny und Greg in dem nicht abreißenden Menschenstrom weitertreiben ließen, hielten sie die Augen nach Läden offen, die Sachen in Marions Größen verkauften. Schließlich wurden sie in einem Geschäft für Männerbekleidung fündig. Die Verkäufer lachten albern, als Marion sich mit Jenny und einem Berg Pullover und Hosen in die Umkleidekabine zurückzog. Sie sah frustriert in den Spiegel. In den vergangenen Monaten hatte sie abgenommen, aber sie war immer noch einige Kilo von Kleidergröße zweiundvierzig entfernt und schwor sich zum hundertsten Mal, besser auf ihre Ernährung zu achten.
    »Zieh nicht so ein Gesicht«, sagte Jenny. »Ich passe in China auch nicht in die Frauensachen.«
    »Das liegt aber nur an deiner Größe, ganz sicher nicht an deinem Umfang.«
    »Unsinn. Du tust so, als seist du Aschenputtel und Rumpelstilzchen in einer Person. Ich finde, du siehst klasse aus. Hier«, sagte Jenny und hielt Marion ein königsblaues Sweatshirt entgegen.
    Marion nahm ihr den Pullover ab und streifte ihn über den Kopf. Gut, dass Jenny ihr bei diesem demütigenden Erlebnis beistand. Spontan drehte sie sich um und nahm die Amerikanerin in den Arm.
    »Ich bin dir und Greg so dankbar. Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, euch kennengelernt zu haben«, sagte sie.
    Jenny drückte Marion und hielt sie dann auf Armeslänge von sich. Sie lachte übers ganze Gesicht. »Und wir erst«, sagte sie.
    Etwas später traten die drei mit ihrer Beute wieder auf die Straße und ließen sich von den Menschenmassen in eine von zwei großen Steinlöwen flankierte Marktgasse ziehen. Es fing mit kleinen Geschäften für Gewürze und getrocknete Eidechsen relativ harmlos an. Dann folgten die Fleisch- und Wursthändler, bis sie schließlich die Abteilung für lebende Tiere erreichten. Krebse und andere Schalentiere

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