Die verborgene Seite des Mondes
Valley auf der Landstraße nach Beowawe, bis sie zur Abfahrt vom Highway 80 gelangten. Simon stellte hin und wieder am Radio herum, um einen anderen Sender zu suchen. Countrymusik schien er nicht zu mögen und Hip-Hop auch nicht. Julia fragte sich, ob er in seinem Wohnwagen überhaupt die Möglichkeit hatte, Musik zu hören, und welche ihm gefiel.
Normalerweise wäre das eines der unverfänglichsten Themen ge wesen, um mit einem fremden Jungen Small Talk zu betreiben. Aber bei Simon war das anders. Sie würde ihn etwas fragen, er würde stottern und verlegen werden. Am Ende würde er wütend auf sie und ihre Fragen sein. Also hielt sie lieber den Mund.
An der Abfahrt zum Highway stiegen sie aus und entschieden, den ersten Wegweiser auf einer kleinen Verkehrsinsel anzubringen. Dort würde er für jeden, der vom Highway kam, gut sichtbar sein. Über all diese Dinge verständigten sie sich ohne Schwierigkeiten. Julia redete und Simon nickte.
Er öffnete die Heckklappe des Trucks und kippte sie herunter. Be vor Simon das erste Schild von der Ladefläche holte, reichte er Julia kommentarlos ein Paar nagelneue, lederne Arbeitshandschuhe. Sie sah ihn an und entdeckte ein versöhnliches Lächeln in seinen schwarzen Augen. Ein schöneres Geschenk als diese Handschuhe hätte er ihr in diesem Moment nicht machen können. Julia schlüpfte mit ihren Händen hinein und es war, als würde sie von nun an ein klein wenig dazugehören. Zur Ranch, zu den Shoshoni, zu diesem Land. Und zu diesem Tag.
Tatsächlich war es gar nicht so einfach, die großen Wegweiser aus Holz an geeigneter Stelle zu befestigen. Sie arbeiteten Seite an Sei te. In Simons Kleidung, die mehr Löcher hatte, als Julia zählen konn te, haftete der Geruch von Tieren und frischem Heu.
Hin und wieder fluchte Simon, wenn ihm der Befestigungsdraht aus der Hand glitt oder das Schild wegrutschte. Er tat es inbrünstig, wenn auch etwas eintönig. Doch das Fuck kam ihm jedes Mal so mü helos und korrekt über die Lippen, dass Julia sich ein Schmunzeln verkneifen musste.
Auf der Straße zurück nach Eldora Valley hielt Simon in größeren Abständen an, Julia sprang aus dem Wagen und band die bunten Stoffbänder gut sichtbar an die Verkehrsschilder. Auch darüber musste vorher nicht geredet werden. Deshalb entspannte Simon sich zusehends. Er hatte einen Oldiesender gefunden und pfiff leise zu Lady in Black von Uriah Heep mit.
Nachdem Julia ein weiteres Fähnchen an ein Verkehrsschild ge knotet hatte, kletterte sie zurück auf den Beifahrersitz. In diesem Moment entdeckte sie die Narbe. Es passierte, als Simon seine grü ne Flasche ansetzte, um sie auszutrinken, und den Kopf dabei weit in den Nacken legte. Die hässliche Brandnarbe begann unter seinem rechten Ohr und zog sich seitlich über den Hals in den Nacken. Sein dichtes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, verdeckte sie so per fekt, dass sie Julia bisher nicht aufgefallen war. Sie wollte noch so tun, als hätte sie nichts gesehen, aber es war schon zu spät.
Aus den Augenwinkeln heraus sah Simon Julias erschrockenen Blick. Sie hatte die Narbe entdeckt. Irgendwann musste es ja passie ren. Er war nicht vorbereitet auf das Mitgefühl in ihren Augen, es war ihm unangenehm. Wortlos verschraubte er die Flasche und trat aufs Gaspedal.
Julia fragte nicht und er war ihr dankbar dafür. Allerdings stand die Sache nun zwischen ihnen. Simon konnte die Frage beinahe hö ren, obwohl Julia nicht einmal die Lippen bewegte. Jeder schwieg von etwas anderem. Sie wollte wissen, woher die Narbe stammte. Und er wollte es ihr nicht erzählen, weil die Antwort nur weitere Fragen nach sich ziehen würde.
Endlich kamen sie an die Abzweigung zur Goldmine. Julia ent deckte den künstlichen Berg, die riesige Abraumhalde, die sich wie ein monströser Fremdkörper gegen den blauen Himmel abzeichne te. Ihre Aufmerksamkeit verlagerte sich nach draußen und Simon konnte wieder atmen.
»Ist das die Goldmine?«
»Ja.«
»Die Halde ist ja riesig. Wie lange gibt es die Mine denn schon?«
Nun hatte Julia doch zu fragen begonnen, aber das störte Simon nicht. Es war allemal einfacher über eine Sache zu reden, über die er Bescheid wusste, als über sich selbst und seine Gefühle.
Er erzählte ihr, dass Nevada der größte Goldproduzent der USA war. Dass die Columbus-Goldmine seit fast vierzig Jahren vom welt größten Bergbau-Multikonzern Kennecott betrieben wurde. Dass für zwanzig Gramm Feingold zwanzig Tonnen Gestein aus dem Berg
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