Die verborgene Seite des Mondes
sagte Julia. »Simon ist nicht mein Typ.«
Hanna schien es nicht schwerzufallen, das zu glauben. Trotzdem fragte sie: »Kann ich dir vertrauen?«
Julia spürte, wie Jubel in ihr aufkeimte, aber sie ließ es sich nicht anmerken. »Klar. Das weißt du doch.«
»Na gut. Unter zwei Bedingungen darfst du bleiben.«
Bedingungen? Mist. »Und die wären?«
»Vorausgesetzt natürlich, Ada ist es recht, dass du bleibst, erwarte ich von dir, dass wir regelmäßig miteinander telefonieren. Außer dem wirst du zu deinen Großeltern ins Ranchhaus umziehen.«
Großer Mist . »Aber ich fühle mich wohl hier im Trailer«, protestier te Julia. »Es ist nicht das Hilton, aber ich habe meine Privatsphäre.«
»Das ist es ja eben. Du wärst ganz allein hier draußen und das ge fällt mir nicht. Man kann ja noch nicht mal die Tür verriegeln.«
»Ich habe keine Angst.«
»Es ist dumm, keine Angst zu haben, Julia. Du hast ja keine Ah nung, wie die Dinge hier laufen. Wenn du nicht ins Ranchhaus um ziehen willst, kommst du mit nach Kalifornien.«
»Okay«, Julia lenkte ein. »Wenn dich das glücklich macht, werde ich umziehen.«
»Gut.«
Sie umarmte ihre Mutter spontan und gab ihr einen Kuss. »Kannst du mir noch den Zopf flechten?«
»Klar.«
Hanna flocht Julias Zopf, die Haare waren noch feucht. »Wer wird das für dich tun, wenn ich nicht da bin?«, fragte sie.
»Ich muss es eben selber machen.«
Hanna umschlang das Ende des Zopfes mit einem Gummi und sag te: »Dann schlaf gut, meine kleine Indianerin.«
»Ja, du auch, Ma.«
Julia putzte Zähne, kroch in ihr Bett und rollte sich in die dünne Decke. Sie war selbst noch völlig überrascht von ihrer eigenen Ent scheidung. Der Wunsch, auf der Ranch bleiben zu wollen, war eine plötzliche Eingebung gewesen, ein Bauchgefühl. Als ob es da etwas gab, das sie verstehen wollte. Was sie in drei langen Wochen an die sem Ort am Ende der Welt anstellen wollte, war ihr jedoch selber nicht ganz klar.
Es würde nicht leicht werden, das wusste sie. Aber zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters hatte Julia das Gefühl, dass das Leben ei nes Tages vielleicht doch wieder schön sein könnte.
Simon stellte den Truck auf dem Hof ab und ging noch einmal ins Ranchhaus, um den beiden Alten eine gute Nacht zu wünschen. Tommy gab freudige Laute von sich, als er Simons Stimme erkann te, und Simon strubbelte ihm lächelnd über den Kopf.
»Die Wegweiser müssen morgen wieder eingesammelt werden, bevor irgendwelche Kids sie als Zielscheiben benutzen«, sagte Ada.
»Und du musst Dachpappe besorgen«, erinnerte ihn der alte Mann. »Einige Dächer im Camp sind undicht.«
Simon nickte. »Ich k-k-kann ja Julia mitnehmen«, sagte er. »Wir fah ren nach Battle Mountain in den Baumarkt, um die Pappe zu b-esor gen, und auf dem Rückweg sammeln wir die Schilder ein.«
Ada musterte ihn aufmerksam. »Daraus wird wohl nichts werden. Hanna und Julia reisen morgen ab.«
Der Schreck durchzuckte ihn wie ein glühender Blitz und er hatte große Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. »W-ollten sie n-n-nicht länger bleiben?«, fragte er. Simon versuchte beiläufig zu klingen, aber seine Panik war deutlich herauszuhören.
Adas Blick wurde noch durchdringender. »Schon. Aber anschei nend gefällt es ihnen hier nicht. Das Leben auf der Ranch ist den bei den zu primitiv. Ich kann es ihnen nicht verdenken. In Deutschland wohnen sie in einem schicken kleinen Haus mit allen Annehmlich keiten.«
Simon schüttelte ungläubig den Kopf. Er wusste, dass Ada Hanna nicht mochte, und es widerstrebte ihm, sich anzuhören, wie die alte Frau abfällig über Julias Mutter redete. Hanna hatte versucht, es ihrer Schwiegermutter recht zu machen, doch das war ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. Ada war der Überzeugung, Hanna hätte John verhext, weil er freiwillig mit ihr in ein fremdes Land gegan gen war. Dass er dort gestorben war, würde Ada ihrer weißen Schwiegertochter nie verzeihen.
Er stammelte den beiden Alten einen Gutenachtgruß zu und machte sich mit der Taschenlampe auf den Weg zu seinem Wohn wagen. Als er am Trailer vorbeikam, sah er, dass drinnen noch Licht brannte. Ein erster Impuls trieb ihn, anzuklopfen und mit Julia zu sprechen.
Simon wusste, dass Julia anders war als ihre Mutter. Nach dem ers ten Schock hatte sie Gefallen an der Ranch gefunden, das zeigte sich in vielen kleinen Dingen. Es machte ihr Freude, Pipsqueak zu füt tern und die weißen Ziegenkinder zu besuchen. Jedes Mal hatte sie ein paar
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