Die verborgene Seite des Mondes
konnte. Für sie war es ein Unding, den alten Mann von seinem angestammten Schlafplatz zu vertreiben, aber Hanna fand die Lösung gut.
Nach dem Frühstück lud Hanna ihr Gepäck in den Leihwagen und verabschiedete sich von Ada und Boyd. Die Erleichterung, endlich von der Ranch fortzukönnen, war ihr ins Gesicht geschrieben.
Hanna umarmte Julia. »Pass auf dich auf, okay?«
»Du auch, Ma. Und schöne Tage mit Kate.«
»Ja. Die kann ich wirklich brauchen. Und ruf mich an. Kates Num mer hast du ja.«
»Mach ich.«
Sie stieg ein und fuhr winkend davon. Julia sah der Staubwolke nach und fühlte, wie etwas von ihr abfiel, das eng war und sie am At men hinderte. Unter dem aufgerissenen Kokon kam etwas Neues zum Vorschein, etwas Fremdes, Aufwühlendes. Etwas, das sie nicht einordnen konnte.
Als Simons Wecker klingelte, schreckte er hoch, erfüllt von Panik. Er hatte Angst, Julia könnte schon weg sein. Aber ein Blick aus dem Fenster beruhigte ihn. Der staubige rote Chevy stand noch vor dem Trailer.
Also begann er seinen Tag wie gewohnt, was blieb ihm auch ande res übrig. Er bereitete Frühstück für alle, und nachdem er mit den beiden Alten gegessen hatte, trug er Tommy nach draußen. An schließend kümmerte er sich um die Flasche für Pipsqueak und ging die Kühe füttern.
In Gedanken spielte Simon den Abschied von Julia durch. Viel leicht würde sie ihm schreiben, wenn er sie darum bat. Er hatte noch nie einen richtigen Brief bekommen. Von wem auch?
Noch am gestrigen Abend, oben an der heißen Quelle, hatte er ge hofft, Julia würde im nächsten Jahr vielleicht wiederkommen und et was länger bleiben. Doch nun, da sie und ihre Mutter voreilig abrei sen wollten, schwand diese Hoffnung.
Simon beeilte sich mit dem Füttern der Kühe und war gerade da bei, das zweite Tor hinter sich zu schließen, als er den Chevy davon fahren sah. Eine ockerfarbene Staubwolke stieg zwischen den Bei fußbüschen auf. Im Staub tanzten Geister, die ihn zu verhöhnen schienen.
Der Schreck fuhr ihm in die Glieder und lähmte seine Schritte. Sein Magen zog sich zusammen und plötzlich fühlte er sich hunde elend. Simon hatte gehofft, Julia würde sich von ihm verabschieden, aber scheinbar war er das nicht wert. Er versuchte, die wilde Enttäu schung zu zähmen, doch es gelang ihm nur schlecht. Traurig lief er weiter, ließ die Arme hängen wie ein flügellahmer Rabe. Pepper folgte ihm, humpelnd und mit heraushängender Zunge.
Als Simon um die Ecke des Schuppens bog, sah er Julia am Boden kauern und Loui-Loui Kletten aus dem Fell zupfen. Erleichterung durchströmte ihn und schwemmte seine Niedergeschlagenheit fort. Julia war noch da! Sie war hier, auch wenn er nicht begriff, wieso.
Pepper lief zu Loui-Loui und bellte. Julia drehte sich um. Sie lächelte Simon verschwörerisch zu und er kapierte überhaupt nichts mehr.
Obwohl sein Inneres vollkommen in Aufruhr war, versuchte er, ge lassen zu wirken, als er vor ihr stand. »Wo f-ährt sie hin?«
»Nach Kalifornien.«
Simon schluckte. »O-O-Ohne dich?«
»Sieht ganz so aus.«
Er wagte ein Lächeln und hoffte, sie würde die Steine, die ihm vom Herzen fielen, nicht poltern hören.
Julia stützte sich auf den Knien ab und erhob sich. »Zuerst werde ich meine Sachen aus Grandpas Kammer wieder in den Trailer zu rückbringen. Meine Mutter hat mich nur unter der Bedingung hier gelassen, dass ich im Ranchhaus schlafe. Aber ich mag mein Bett im Trailer und Angst habe ich auch keine.«
Simon stand da, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und spürte, wie sich seine Bauchmuskeln entspannten. Ruhe breitete sich in ihm aus, denn nun wusste er, dass er noch eine Chance hatte. Sein Wunsch war erfüllt worden, er hatte Zeit geschenkt bekom men. Zeit, um Julia zu sagen, was er für sie empfand.
Simon und Julia fuhren mit dem Truck nach Battle Mountain, um im Baumarkt Dachpappe zu besorgen, und auf dem Rückweg sammel ten sie die Hinweisschilder wieder ein.
Natürlich entging Julia nicht, wie gut gelaunt Simon war. Was je doch keineswegs bedeutete, dass er gesprächiger war als in den vorangegangenen Tagen. Er pfiff zur Musik aus dem Radio und wirkte weniger angespannt als auf ihrer ersten gemeinsamen Fahrt.
Zurück auf der Ranch, luden sie die Schilder ab und verstauten sie wieder im Schuppen, wo sie bis zum nächsten Sommertreffen blei ben würden. Anschließend fuhren sie zum Camp zurück, wo der al te Mann schon dabei war, Reste zerfledderter Dachpappe vom Dach einer Holzhütte zu
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