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Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Die verborgene Sprache der Blumen / Roman

Titel: Die verborgene Sprache der Blumen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Diffenbaugh
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Tankstelle im Spiegel betrachtete, glaubte ich allerdings nicht, dass es jemand auch nur versuchen würde. Da mein sich verändernder Körper und meine Obdachlosigkeit eine lähmende Wirkung auf mich ausübten, hatte ich mich weder umgezogen noch geduscht oder mich in wohlhabenden Stadtvierteln mit dem Nötigsten versorgt. Allmählich sah man meiner Haut die Wochen an.
    Ich vermisste Renata und meine Arbeit, aber ich konnte nicht ins Flora zurückkehren, da Grant mich dort zuerst suchen würde. Daher versteckte ich mich hinter den Heidebüschen, die während meiner Abwesenheit größer geworden waren und sich vermehrt hatten. Die Samen des Heidekrauts können monate-, ja sogar jahre- oder jahrzehntelang in der Erde schlummern, bevor sie neues Leben hervorbringen, und die vertraute Pflanze tröstete mich, als ich mich mit meiner Tasche unter ihre Zweige kuschelte. Meine restlichen Sachen ließ ich im Auto, das ich jeden Tag in einer anderen Straße parkte. Wenn Grant den Kombi bemerkte, würde er ihn erkennen – obwohl ich das Nummernschild entfernt und die blaue Box gut unter meiner Habe versteckt hatte. Deshalb stellte ich das Auto weit weg von Potrero Hill in Bernal Heights, Glen Park oder sogar in Hunter’s Point ab. Ich schlief wochenlang im Park, bevor ich mit dem Gedanken spielte, im Auto zu übernachten. Aber ich entschied mich dagegen. Der Geruch der vom vielen Wasser fruchtbaren Erde hielt Einzug in meine Träume und beruhigte meine Alpträume.
    Mitte August, ich saß gerade oben auf dem Klettergerüst im McKinley Square, sah ich Grant. Er kam geradewegs die Vermont Street entlang, und auf dem Weg den Hügel hinauf unterzog er die modernen Lofts und die alten viktorianischen Häuser einer ganz genauen Betrachtung. Nach einer Weile blieb er stehen und wechselte ein paar Worte mit einem Maler, der auf einem schiefen Gerüst stand. Türkise Farbe tropfte von seinem Pinsel und landete auf einem Abdecktuch neben Grants Schuh. Grant bückte sich und berührte den feuchten Klecks. Als er dem Maler etwas zurief, zuckte der Mann die Achseln. Da Grant drei Häuserblocks weiter bergab stand, konnte ich ihn nicht verstehen, doch ich bemerkte, dass er trotz des steilen Wegs nicht außer Atem war.
    Ich kroch ins Gebüsch, schloss meine Tasche und schleppte sie über die Straße in den Laden an der Ecke. Als ich wieder in den McKinley Square gezogen war, hatte ich dem Ladenbesitzer erzählt, ich sei auf der Flucht vor meiner gewalttätigen Familie. Ich hatte ihn gebeten, mich zu verstecken, für den Fall, dass mein Bruder nach mir suchen sollte. Er hatte sich geweigert, doch da ich im Laufe der Zeit fast jede Mahlzeit in seinem stets leeren Tante-Emma-Laden gekauft hatte, wusste ich, dass er mich nicht zurückweisen würde.
    Der Ladenbesitzer blickte auf, als ich mit meiner schweren Tasche hereingerannt kam, und öffnete rasch die Tür hinter sich. Ich hastete um die Theke herum, durch die Tür und eine Treppe hinauf. Oben fiel ich auf die Knie und kroch zum Fenster der kleinen, spartanisch eingerichteten Wohnung. Der Parkettboden roch nach Zitronenöl und fühlte sich unter meinen Schienbeinen glitschig an. Die Wände waren grellgelb gestrichen. Grant würde nicht zweimal hier hinaufschauen.
    Ich kauerte mich unter das Mansardenfenster und spähte über das Fensterbrett.
    Grant hatte die Stufen zum Park bereits hinter sich und ging an den Schaukeln vorbei, deren leere Sitze in der Brise schwankten. Als er herumwirbelte, duckte ich mich. Schließlich hob ich wieder den Kopf. Grant stand am Rand des Rasens, wo die üppig grüne Fläche ins wuchernde Unterholz des Waldes mündete. Er drückte den Stiefel gegen den Stamm eines Mammutbaums, ehe er über den weichen Waldboden ging und sich vor das weiße Eisenkraut kniete. Ich hielt den Atem an, als Grant den Blick über den Abhang schweifen ließ, voller Furcht, er könnte den eingedrückten Heidebusch und die Umrisse meines Körpers mit dem gerundeten Bauch darunter erkennen.
    Doch Grant bemerkte den Busch nicht. Er wandte sich wieder dem Eisenkraut zu und senkte den Kopf. Ich war zu weit entfernt, um die zarten Blütenbüschel zu sehen, in die er die Nase steckte, zu weit entfernt, um seine leisen Worte zu verstehen. Aber ich wusste, dass er betete.
    Ich presste die Stirn an die Scheibe und spürte, wie mein Körper von der Macht meiner Sehnsucht zu ihm hingezogen wurde. Ich vermisste seinen süßen, erdigen Duft, seine Kochkünste und seine Berührungen. Die Art, wie er

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