Die verborgenen Bande des Herzens
förmlich davon aus, dass man sich nicht normal verhält. Außerdem gab es da, trotz allem, diesen einen Moment, als Josies kleiner weißer Sarg hochgehoben wurde und ich instinktiv nach Alex’ Hand fasste, im selben Augenblick, als er nach meiner Hand griff. Denn trotz der Distanz zwischen uns wussten wir, dass es außer uns beiden niemanden unter den Anwesenden dieser Beerdigung gab, der so genau verstand, was in diesem Moment im anderen vorging. Wie hätte es anders sein können? Josie stammte von uns beiden ab. Sie war aus unseren Körpern hervorgegangen, aus unserem Geist. Und aus unseren Seelen, unseren Herzen, aus der unwiderstehlichen Anziehung, die uns dereinst überhaupt erst zusammengeführt hatte. Die Intimität des Moments, in dem sie gezeugt wurde, wiederholte sich in dem Moment, in dem sie für immer von uns ging, denn in dieser Kirche, in diesem Augenblick, gab es nur Alex und mich, waren wir beide ganz allein. Dann ließen wir die Hände sinken.
35. Kapitel
Karen
L ily hört mal wieder Frank Sinatra. »My Way«.
»Yes, there were times, I’m sure you knew, When I bit off more than I could chew.«
Lily lehnt den Kopf gegen den Türrahmen und mustert mich.
»Guten Abend, Lily.«
Ich richte den Blick auf Alex.
»Ich hätte gern unter vier Augen mit Ihnen gesprochen.« Absichtlich wähle ich einen förmlicheren Ton als üblich.
Lily reißt in Panik die Augen auf.
»Sie haben sie gefunden?«, fragt sie.
»Nein, nein. Nichts dergleichen.«
Lily geht langsam ins Haus.
» But through it all, when there was doubt, I ate it up and spit it out, I faced it all and …«
Die Tür fällt ins Schloss.
Alex geht ins Wohnzimmer, ich folge ihm, schließe die Tür hinter uns beiden. Keiner von uns beiden verspürt zunächst die Neigung, sich hinzusetzen. Alex verschränkt die Arme vor der Brust. Wir haben seit dem Kuss nicht mehr miteinander geredet. Es fällt ihm schwer, mir in die Augen zu sehen, und diese Tatsache schürt meinen Zorn noch weiter.
Das Blau seiner Augen ist so wunderschön.
»Ich bin hergekommen, weil ich über Josie reden will.«
Jeder Ausdruck verschwindet aus seinem Gesicht, wie wenn man mit einem Schwamm eine Tafel blank wischt.
»Was ist mit …« Seine Stimme wird heiser, gerät ins Stocken, und er räuspert sich. »Verzeihung. Worum geht es?«
»Das Ganze ist sehr schwierig für mich, Alex. Aber ich bin Polizistin, und ich muss alles beachten, was Sie mir erzählt haben. Es hat mich irgendwie … nun ja … doch sehr beunruhigt, was Sie mir da über diese Morphiumpumpe erzählt haben.«
Alex’ Gesicht gleicht nun einer Maske. Es ist blass und starr, wie eine Totenmaske.
»Vergessen Sie, was ich damals gesagt habe.«
»Nun, das ist so eine Sache, Alex. Ich kann es nicht vergessen. Ich wollte, dem wäre so. Wissen Sie, manche Richter würden diese Geschichte mit der Morphiumpumpe nachsichtig betrachten. Tötung aus Barmherzigkeit, würden sie wahrscheinlich dazu sagen. Aber es gab in den letzten Jahren auch eine ganze Reihe von Fällen, die strafrechtlich verfolgt wurden, und, nun ja, ich habe einfach das Gefühl, dass diese Entscheidung nicht ich zu treffen habe. Verstehen Sie, was ich meine? Ich finde, dass es mir als Polizistin nicht zusteht, darüber zu entscheiden, ob es zu einer Verurteilung kommen soll. Diese Aufgabe fällt dem Staatsanwalt zu und letztendlich dem Richter. Meinem Gefühl nach haben Sie mir von einem potentiellen Verbrechen erzählt, das verübt worden ist, und so eine schwerwiegende Angelegenheit sollte ich wirklich nicht für mich behalten.«
»Karen, tun Sie das nicht …«
»Es ist mein Job, Alex.«
»Es scheint meiner Aufmerksamkeit entgangen zu sein, dass Sie sich so strikt an die Gesetze halten, Karen. Ihr Verhalten neulich Abend, ging es konform mit dieser Einstellung?«, bringt er zu seiner eigenen Beruhigung vor, mit einer Stimme, die fast flehentlich klingt. »Hören Sie, das Ganze ist lächerlich. Ich habe Ihnen erzählt, was passiert ist. Sie wissen, dass ich Josie nicht ermordet habe. Nicht auf diese Weise. Das wissen Sie.« Seine Stimme ist laut geworden.
Er beginnt zu schwitzen, innerlich. Er ist in Schweiß ausgebrochen, und ich bin der Anlass dafür. Das tut mir gut. Natürlich habe ich nicht die Absicht, diese Sache zu melden. Glaube ich wenigstens. Aber ich muss unbedingt ein bisschen Unruhe in seinem Kopf stiften, damit er Wachs in meinen Händen ist.
»Ich habe Ihnen schon gesagt, Alex, es ist nicht meine Entscheidung, ob
Weitere Kostenlose Bücher