Die Verborgenen
verschwand in Marcos riesiger Pranke. Die Haut fühlte sich warm an. Die Hand war rau und voller Schwielen. Sanft zog Marco Rex durch die Dunkelheit des engen Tunnels.
Einige Minuten später hörte Rex das knirschende Geräusch einer Metalltür, die über einen unebenen Betonboden schleifte. Marco zog Rex ein kleines Stück nach vorn, dann ließ er seine Hand los. Wieder das Knirschen, dann das Geräusch von Marcos Schritten.
Ein Licht erwachte zum Leben.
Ein weiteres Kellergeschoss. Niemand schien es zu benutzen. Rex sah sich um. Es war ein richtiges Dreckloch. Es gab nicht einmal Möbel. In einer Ecke lagen mehrere Decken, und daneben stand ein altersschwacher Korbsessel. Eine einzige nackte Glühbirne hing an einem langen, schwarzen Kabel von der Decke. In einer weiteren Ecke lag ein Haufen Kleider.
Der Ort war unheimlich. Es war ein Ort, an den Kindervergewaltiger ihre Opfer brachten – jedenfalls konnte man sich das gut vorstellen. Doch Rex wusste, dass Marco kein Vergewaltiger war. Und Rex wusste auch, dass man kein schmutziges Kellerloch brauchte, um ein Kind zu vergewaltigen.
Schließlich hatte Pater Maloney auch keines gebraucht.
Seit sie aus dem Haus geflohen waren, war Rex fast die ganze Zeit über hinter Marco hergerannt. Als sie sich jetzt gegenüberstanden, erkannte Rex, dass die Blutflecke auf Marcos weißem Unterhemd so groß geworden waren, dass es rosa aussah, obwohl die Blutung zum Stillstand gekommen schien. Doch Marco machte sich über das, was eine ernsthafte Verwundung sein mochte, keinerlei Sorgen.
»Das Zimmer ist ein einziges Chaos«, sagte Rex. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
Marco erstarrte. Seine Augen wurden größer. »Das tut mir leid. Soll ich sauber machen?«
»Oh. Nein. Es ist schon in Ordnung so.«
Marco stieß ein Seufzen der Erleichterung aus. Wie seltsam. Er hatte einen Polizisten mit einem Beil getötet, aber er hatte Angst vor dem, was Rex möglicherweise dachte? Das klang nicht sehr sinnvoll, aber andererseits ergab nichts einen Sinn. So viel geschah, und jedes einzelne Ereignis war schon für sich genommen überwältigend – Roberta, dieser Bulle, Oscar, Jay, die Träume, die Zeichnungen, dieser Mann, die Waffe … und jetzt dieses schmutzige Zimmer im Keller eines Gebäudes, das Rex nicht kannte.
Dieser seltsame Mann, der … Rex zu verehren schien.
Marco zog sein ruiniertes Unterhemd aus. Er schmiss es auf den Boden und ging zu dem Kleiderstapel. Er wühlte einen Augenblick darin herum, bis er ein weiteres weißes Unterhemd gefunden hatte und es anzog. Man konnte es nicht einmal »sauber« nennen, wenn man dieses Wort sehr großzügig definierte, aber es war wenigstens nicht blutverschmiert.
»Marco, wie lang bleiben wir hier?«
»Bis es dunkel wird«, sagte er. »Am besten ist man um drei oder vier Uhr nachts unterwegs. Ich hätte diesen Bullen nicht töten sollen, mein König. Bullen werden vermisst. Aber ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Er hat eine Waffe auf dich gerichtet.«
Rex dachte an den Polizisten mit zerzausten Haaren und einem Goldzahn, der die Tür zu seinem Zimmer eingetreten, mit der Waffe auf sein Gesicht gezielt und ihm befohlen hatte, sich auf den Boden zu legen. Der Polizist hatte Rex wehtun wollen. Jeder wollte Rex wehtun.
Jeder außer Marco.
»Du hast mich gerettet«, sagte Rex. »Danke.«
Marco sah zu Boden und wandte sich ab. »Alles für dich, mein König.«
»Ständig nennst du mich so. Warum?«
»Weil du genau das bist.« Marco atmete tief durch seine Nase ein. »Ich kann es riechen. Wir werden hierbleiben. Später werden Sly, Pierre und die anderen kommen.«
Wieder diese Namen. Die Namen aus seinen Träumen. »Haben sie Oscar und Jay umgebracht?«
Marco nickte. »Ich habe geholfen. Wir wollen allen wehtun, die dir wehtun, mein König.«
Mein König. Das war kein Trick. Diese Fremden hatten für ihn getötet. Hatten Menschen getötet, die ihm das Leben zur Hölle gemacht hatten.
»Woher wusstet ihr über Oscar und Jay Bescheid?«
»Wir haben deinen Hass gefühlt«, sagte Marco. »Alles begann vor ein paar Tagen. Vielleicht vor einer Woche – mit Zeit komme ich nicht so gut zurecht. Wir haben Bilder von Menschen gesehen, die dir wehgetan haben. Aber nur diejenigen von uns, die auf den Straßen unterwegs sind. Die anderen haben nichts gefühlt. Ich habe noch nie so etwas empfunden, mein König. Sly meint, dass wir Teile deiner Träume gesehen haben.«
Vor einer Woche. Um diese Zeit herum war
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