Die Verborgenen
nicht, ob sie noch einmal eine Chance bekommen würde, damit er sich ihr gegenüber öffnete und sie erfuhr, was wirklich mit ihm los war. Jetzt war nicht der richtige Augenblick, selbstsüchtig zu sein und nur ihre eigenen Bedürfnisse im Blick zu haben. Bryan brauchte jemanden. Selbst wenn es sie noch so sehr schmerzte, würde sie für ihn da sein.
»Hier geht es nicht nur um eine Vertuschungsaktion«, sagte sie. »Ich kenne dich, Bryan Clauser. Ich weiß, wer du bist und wie du denkst, oder wenigstens war das einmal so, bevor diese ganze Sache hier angefangen hat.«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, dass du Angst hast.«
Er drehte sich zur Seite, ohne nach etwas Besonderem zu sehen; er wandte sich einfach nur von ihr ab.
»Bryan, was immer es auch ist, du kannst es mir sagen. Wir haben miteinander gebrochen, schon klar, das habe ich kapiert, aber ich werde dich immer lieben.«
Er sah ihr direkt ins Gesicht. Sie hatte das übliche ausdruckslose Starren erwartet, doch stattdessen verrieten seine Augen Schmerz – Schmerz und Frustration.
»Robin, ich …«
Komm schon, lass mich daran teilhaben. Lass mich dir helfen.
Sie wartete. Er schloss die Augen. Dann rieb er sich langsam mit der linken Hand über das Gesicht. Schließlich ließ er die Hand sinken, blinzelte ein paarmal und schien sich zu fassen.
»Okay«, sagte er. »Mann, wo soll ich nur anfangen? Das alles scheint unmöglich, aber …«
In einer Ecke des Raums piepste die RapScan-Maschine. Robin warf einen Blick auf das Gerät, das nicht größer als eine Aktentasche war. Die Erstellung des ersten Karyogramms war abgeschlossen.
Robin drehte sich wieder zu Bryan um. »Sprich weiter. Was wolltest du gerade sagen?«
Er machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung der Maschine. »Sind das die Ergebnisse vom Killer des Vogelmanns?«
Robin seufzte. Der entscheidende Augenblick war vorbei. Angesichts der Ergebnisse, die auf sie warteten, würde Bryan ganz sicher kein Wort mehr sagen. Nun, sie hatte es versucht. Sie wünschte sich so sehr, dass er sich ihr anvertrauen würde, aber offensichtlich wollte er das nicht. Das tat weh, aber es lag nicht in ihrer Macht, etwas daran zu ändern.
Sie zog die Handschuhe aus und ging zu der Maschine. Bryan folgte ihr.
Auf dem oberen Teil des Monitors erschien eine Nachricht:
PROBE ANGREIFER BOBBY PIGEON VOLLSTÄNDIG.
»Die Probe stammt von den Blutspritzern in Rex’ Wohnung«, sagte sie. »Die Analyse der beiden anderen Proben müsste jeden Augenblick fertig sein. Sehen wir uns an, was wir haben.«
Sie drückte auf eine Taste, um das Karyogramm aufzurufen. Die farbigen horizontalen Linien erschienen auf dem Flachbildschirm. Bryan deutete auf die letzte Einheit, die die Geschlechtschromosomen zeigte. »Ein Zett«, sagte er. »Also ist Bobbys Mörder auch der Mörder von Oscar Woody?«
Während Robin die Marker betrachtete, fühlte sie, wie eine Woge der Erregung und reiner Entdeckerfreude sie erfüllte. Sie deutete auf das zweite Geschlechtschromosom. »Das ist ein X . Bobbys Killer ist Zett- X . Oscars Killer war Zett- Y . Bryan, das bedeutet, wir haben zwei Menschen mit dem Zett-Chromosom!«
»Also sind die beiden … verwandt?«
Verwandt? Ein Fall, zwei Mörder, beide besitzen das nie zuvor gesehene Zett-Chromosom. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht verwandt waren?
»Moment.« Sie berührte den Touchscreen, um einige neue Befehle einzugeben. »Ich sage der Maschine, dass sie eine genauere Untersuchung der gemeinsamen Sequenzen durchführen soll.«
»Was heißt das?«
»Das Gerät kann uns zeigen, ob die Zett-Chromosomen identisch sind. Sollte das der Fall sein, wären die beiden Täter Brüder.«
»Brüder?«
Robin drückte auf Enter . Fast augenblicklich erschien das Resultat: Die Zett-Chromosomen waren identisch.
»Brüder«, sagte sie. »Oder wenigstens Halbbrüder. Entweder haben sie dieselbe Mutter oder denselben Vater.«
Wieder piepste das Gerät. Auf dem oberen Teil des Monitors erschien eine neue Nachricht:
PROBE R. DEPROVDECHUK VOLLSTÄNDIG.
Robin drückte auf das Icon. Für einen kurzen Augenblick wurde der Bildschirm schwarz, dann erschien das neue Karyogramm.
Robin starrte einfach nur darauf.
»Verdammt, Robin, was ist los?«
Sie wusste es nicht. Sie hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung. Rex war nicht XY, wie man das bei einem normalen Jungen erwartet hätte. Er war auch nicht XZ, und er war nicht einmal YZ.
Rex Deprovdechuks Geschlechtschromosomen
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