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Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Dutton
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einfach so, ohne jeden Beweis?«
    »So ungefähr. Sie nennen es law of compensation, Gesetz der Vergeltung, und das kann sogar zu einem Krieg zwischen den Stämmen führen.«
    »Was bedeutet das genau?«
    Lambert seufzte. »Schadensersatz zahlt man hier für vieles. Sei es dafür, dass man versehentlich ein Huhn überfahren hat oder dass man beim Ehebruch erwischt wurde. Oder dafür, dass man ohne Erlaubnis das Gebiet eines anderen Stammes durchquert oder ein Schwein gestohlen hat. Und eben auch dann, wenn man den Fluch des Sanguma übers Dorf gebracht hat.«
    »Ich verstehe. Nur, damit Sie’s wissen: Ich bin nicht nachsichtig mit diesen Bräuchen. Mir geht es nur darum, zu erfahren, was die Leute über mich denken.«
    »Ich wollte es auch nur gesagt haben. Sie haben ja keine Ahnung, wie frustrierend für uns Ärzte Zauberei und Hexenglauben sind. Wenn wir einen todkranken Patienten nach Hause schicken, wird oft eine Nacht später ein anderer, meist schwerverletzter Patient aus demselben Dorf eingeliefert, denn man sucht hier immer einen Sündenbock.«
    Katja hörte aufmerksam zu. »Law of compensation?«
    Lambert nickte. »Das Krankenhaus hat für solche Fälle sogar ein eigenes Formular entworfen, das Angehörige von Kranken mit in ihr Dorf nehmen. Darauf bestätige ich als behandelnder Arzt, dass die Krankheit dieses Patienten eindeutig nicht durch Hexerei verursacht worden ist. Manchmal hilft es, wenn die Leute so etwas schwarz auf weiß sehen.«
    »Das glaub ich nicht. Dieses Formular gibt es tatsächlich?« Ein amüsiertes Lächeln umspielte Katjas Mundwinkel.
    »Ich zeig es Ihnen, wenn Sie morgen ins Krankenhaus kommen.«
    »Ins Krankenhaus?«, fragte Katja verwundert.
    »Denken Sie etwa, ich lasse Sie mit diesem Knie allein? Ich bitte Takari, dass er Sie morgen früh ins Hospital fährt. Danach können Sie immer noch einen Flug buchen, wenn Sie unbedingt wollen.«
    Lambert begleitete sie noch zu ihrem Bungalow und verabschiedete sich dann. Katja schloss von innen ab und legte die Türkette vor. Sie zog die Holzlamellen des Fensters zu und fiel erschöpft aufs Bett. Langsam ließ die Anspannung nach. Was für ein Tag! Sie richtete sich zur Hälfte auf, um ihr T-Shirt über den Kopf zu ziehen, und streifte dabei die Kette mit dem Ring. Sie dachte an Michael. Seltsam. Den ganzen Tag über hatte sie nicht an ihn gedacht, nicht einmal während des Überfalls. Dafür hatte sie erstmals wieder einen anderen Mann interessiert betrachtet.
    Katja drehte sich zur Seite, dachte nach. Wenn sie jetzt mit der nächstmöglichen Maschine in die Heimat zurückflog, hätte sie die Chance vertan, die Absturzstelle in Tasmanien zu besuchen. Doch im Augenblick war sie viel zu erschlagen und verwirrt, um über ihre nächsten Schritte nachzudenken. Morgen würde sie hoffentlich klarer sehen.

    Wie Lambert vorausgesagt hatte, entzündete sich die Schürfwunde an Katjas Knie, das schmerzhaft brannte. Der Grund für die langsame Wundheilung war ein Eiweißstoff, der in den Nesselkapseln der Korallen enthalten ist. Lambert untersuchte ihre Lymphknoten auf mögliche Schwellungen, schien aber insgesamt nicht allzu besorgt. Dennoch bestand er darauf, sie einen Tag lang unter Beobachtung zu halten.
    Das gab Katja die Möglichkeit, sich mit Patienten und Personal im Krankenhaus zu unterhalten. Es fiel ihr nicht leicht, die Kultur der Papua auch nur im Ansatz zu begreifen – all die Geister und den Aberglauben –, doch diese Andersartigkeit faszinierte sie auch. Katja bestand darauf, auf der allgemeinen Station zu liegen, um den Krankenhausalltag beobachten zu können. Eine freundlich lächelnde Frau bot ihr sofort von ihrem Essen an. Katja wollte nicht unhöflich erscheinen und nahm ein wenig vom Reis aus der verbeulten Blechschüssel. Dr. Sepuk, der einheimische Arzt, der gekündigt hatte, um mit seiner Familie nach Sydney zu gehen, schaute während seiner Schicht zweimal bei ihr vorbei und ließ sich auf einen Schwatz ein. Von ihm erfuhr sie, dass die Herausforderung im St. Mary’s vor allem darin bestand, mit sehr begrenzten Mitteln die gesamte Bandbreite des medizinischen Spektrums abzudecken.
    »In vielen Fällen erreichen wir mehr, als man angesichts der Ausstattung erwarten würde«, sagte der Arzt auf Englisch. »Wir behandeln eigentlich alles. Vom Ulcus der Cornea bis zur HIV-Infektion, vom Hämatopneumothorax über die Neugeborenen-Sepsis bis hin zur zerebralen Malaria. Tuberkulose ist leider sehr weit verbreitet, auch die

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