Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
Das alles half Katja, als sie das Für und Wider dieser Entscheidung gegeneinander abwog. Und es half auch, dass die Uniklinik Köln so überraschend positiv auf ihre Kündigung reagiert hatte. Ihr Vertrag wäre zwar ohnehin ausgelaufen, aber die Erneuerung hätte, wie in den Jahren zuvor auch, im neuen Arbeitsjahr automatisch stattgefunden. Allerdings fragte sie sich, weshalb ihr Chef sie nicht zum Bleiben überreden wollte. War er am Ende froh über ihr Ausscheiden? Sie kannte den Professor lange genug, um mit ihrem Befremden hinsichtlich seiner widerspruchslosen Hinnahme ihrer Kündigung nicht hinterm Berg zu halten. Doch Professor Mockheimer lachte sie wegen ihrer Bedenken nur aus.
»Jetzt seien Sie nicht so schrecklich eitel! Natürlich werden wir Sie vermissen. Viele Ärzte durchlaufen während ihrer Karriere dieses Stadium von Selbstlosigkeit. Und glauben Sie mir, das sind nicht die schlechtesten. Manche gehen für ein Jahr zu Ärzte ohne Grenzen oder nehmen wie Sie eine Stelle in einer Missionsklinik an. Danach kommen sie zurück und machen mit einem besseren Gewissen Karriere. Gehen Sie ruhig, meine Liebe! Meinen Segen haben Sie, auch wenn Sie gar nicht danach gefragt haben.«
Auszug aus einem Brief von Phebe Parkinson
an einen unbekannten Empfänger,
datiert auf den 2. November 1911,
Phebe-Parkinson-Archiv, Archivnummer 042
(…) Meine Arbeit wird immer schwerer. Die verschiedenen Häuptlinge verlassen sich in ihren zahlreichen (!) Auseinandersetzungen immer öfter auf mich als Vermittlerin. Manchmal denke ich, ich sollte mich dabei mehr fürchten. Schließlich leben einige dieser Stämme noch als Kannibalen. Ich fange tatsächlich jedes Mal an zu zittern, wenn ich aus der Ferne die aufgespießten Schrumpfköpfe sehe, aufgereiht am Tabuhaus.
Gemeinsam mit Richard habe ich vor Jahren einmal mit ansehen müssen, wie so ein gruseliger Schopf gemacht wird. Wir waren zufällig im Dorf, als eine Gruppe von Jägern unter Triumphgeheul zum Stamm zurückkehrte.
Einer der Männer hielt den Kopf eines Feindes an den Haaren. Sofort wurde ein Rauchritual abgehalten, dessen Zweck es laut Richard war, den Rachegeist des Getöteten zu besänftigen. Im Anschluss schnitt der Jäger die Kopfhaut auf der Rückseite unterhalb des Halswirbelansatzes auf und löste sie von Knochen und Muskelgewebe. Dann vernähte ein älterer Krieger die Augenlider und den Nackenschnitt von innen. Schließlich nähte er auch noch den Mund zu, um das Ausfahren des Rachegeistes des Toten zu verhindern. Richard sagte mir, dass sie manchmal auch Bambusnadeln durch die Lippen stechen, um den Mund zu verschließen. Grässlich!
Dieser Anblick hat mir schon mehr als einen Alptraum beschert, obwohl ich weiß, dass ich selbst nichts zu befürchten habe. Sie verzehren nur ihre Feinde, um sich deren Kräfte einzuverleiben. Mich aber behandeln sie so ehrfurchtsvoll, als sei ich eine Königin.
Aber lass mich Dir lieber vom Waisenhaus berichten. Leider sind es nicht weniger Kinder geworden, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, eher noch mehr als früher. Ich überlege ernsthaft, ob ich dem Bischof nicht ein zweites Schlafhaus für die älteren Kinder abringen soll. Brauchen könnten wir es! Bei den Mädchen geht es gerade noch so, vor allem die Jungen liegen wie die Sardinen beieinander. Die Frage wäre nur, wer sich um das alles kümmern soll. Jetzt, da ich um die Hüften ein paar Kilo zugelegt habe, wie es sich für mein Alter gehört, bin ich nicht mehr so beweglich wie einst, und die Katholische Mission hat noch immer mit einem Rückgang an Freiwilligen zu kämpfen. (…)
Papua-Neuguinea, August 2010
K atja hatte den familieneigenen Friedhof von Kuradui auf der Beerdigung bereits zu sehen bekommen, doch weil er etwas abseits lag, war ihr das dicht umwucherte Haus verborgen geblieben.
Lambert hatte angeboten, mit ihr rauszufahren, damit sie es sich näher anschauen konnte. Seit drei Wochen spielte sie nämlich mit dem Gedanken, dort zu wohnen. Bevor sie jedoch weitere Schritte in diese Richtung unternahm, musste sie ihre Eltern anrufen. Zum einen, weil sie ihnen den Entschluss, künftig in Papua-Neuguinea zu leben, möglichst schonend mitteilen wollte. Zum anderen brauchte sie das elterliche Okay, wenn sie auf Kuradui einziehen wollte. Wie sie vermutet hatte, war insbesondere ihre Mutter über keinen der beiden Punkte begeistert, doch schließlich fügten sich ihre Eltern in das Unvermeidliche und gaben ihr die Erlaubnis, frei über Kuradui zu
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