Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
Ecken. Dunkle Spuren an der Decke, verkokelte Dielenbretter und Fensterrahmen im hinteren Raum legten den Schluss nahe, dass es dort vor langer Zeit einmal gebrannt hatte.
Katja drehte sich seufzend zu Lambert um. »Ich werde eine Menge Arbeit und Geld reinstecken müssen, um mich hier wohl zu fühlen.«
»Und? Werden Sie es tun?«
Die kommende Woche verbrachte Katja fast ausschließlich auf Kuradui, um das Haus zunächst einmal auszumisten. Wenn es erst besenrein wäre, so hoffte sie, könnte sie endlich eine genauere Vorstellung davon gewinnen, wie ihr neues Zuhause einmal aussehen sollte. Darüber war sie sich nämlich noch immer nicht klargeworden. Mit Schubkarre und Besen bewaffnet, machte sie sich daran, Raum für Raum von Dreck und altem Zeug zu befreien, das sich nun, da sie einmal mit dem Aufräumen angefangen hatte, in jedem noch so kleinen Winkel zu finden schien. Ein mit Kordel verschnürter Packen vergilbter Zeitungen unterbrach ihre Arbeit am dritten Tag für Stunden, in denen sie durch die von der Luftfeuchtigkeit gewellten Seiten blätterte und sich in den Artikeln festlas. Dabei ging es eigentlich um nichts, was von allgemeinem Interesse gewesen wäre, doch dieser Blick in eine vergangene Zeit zog Katja unweigerlich in ihren Bann. Auch die anderen Fundstücke ließen sie jedes Mal innehalten, wenn auch nicht ganz so lange wie die alten Ausgaben des »Neuguinea Observer«. Phebes Leben innerhalb dieser Wände blitzte bei diesen Entdeckungen vor Katjas innerem Auge auf, und sie konnte nicht anders, als sich dann ganze Alltagsszenen der Parkinsons und ihrer Kinder auszumalen. Zuerst hatte sie einen alten gusseisernen Topf in der Küche gefunden, der schon ganz verrostet und schwer wie ein gefüllter Wassereimer war. Wenn sie daran dachte, wie beschwerlich die Zubereitung der täglichen Mahlzeit an diesem Ort damals gewesen sein musste, schüttelte sie nur mit dem Kopf. Ohne Klimaanlage und mit diesem Kochgeschirr auf einem mit Holz befeuerten Ofen zu kochen, das nötigte Katja noch im Nachhinein Respekt ab. Unter dem Herd entdeckte sie halb verrottete Noten zu Schuberts Liederzyklus »Winterreise«. Wie die nur dahingekommen waren? Ob sich die Kinder einen Spaß erlaubt hatten und sie dort versteckt hatten? In den Notenblättern fand Katja handschriftliche Eintragungen zum Tempo des Klavierparts, und weil sie einige der Lieder ganz gut kannte, fing sie an, auf dem verstimmten Bechstein herumzuklimpern.
Einmal fand sie unter einem schmutzigen Laken vier Fotos mit Stockflecken. Eines davon zeigte Phebe und ihren Mann bei der wissenschaftlichen Arbeit. Unter einem mächtigen Baum saß sie, die Schreibkladde auf dem Schoß, einem Einheimischen gegenüber und schien mit ihm zu sprechen. Zwischen den beiden stand Richard Parkinson, der sich (für die Kamera?) den Hut richtete. Die anderen drei Bilder zeigten irgendwelche Leute in feierlicher Aufmachung, die Katja nichts sagten.
Neben all diesen Schätzen entdeckte Katja auch Überraschungen, auf die sie gerne verzichtet hätte, wie die drei Dutzend riesiger Küchenschaben, die sich blitzschnell über den Boden verteilten, als sie im Bad eine Holzkiste angehoben hatte. Die Ratte, die sie bei ihrem ersten Besuch auf Kuradui gesehen hatte, tauchte zwar nicht wieder auf, vielleicht hatte sie sich die auch nur eingebildet, doch sicherheitshalber legte sie ein paar Fallen aus. Sie hatte sich entschieden und wollte auf Kuradui bleiben, dem Ungeziefer zum Trotz.
Für den Anfang benötigte sie nicht mehr als ein Schlafzimmer, eine schlichte Küche, in der sie sich morgens einen Kaffee kochen konnte, und das Bad, das aus einem Waschtisch und einer freistehenden Emaille-Badewanne bestand, die Katja nach einer Stunde Schrubben ins Herz geschlossen hatte. Wer darin wohl alles gebadet hatte? Im Geiste sah sie eine ganze Schar Kinder, denen Phebe unter heftigem Protest mit einer Bürste den Rücken schrubbte.
Wenn sie nicht gerade über einem alten oder vergammelten Gegenstand ins Träumen geriet, verbrachte Katja ihre Zeit mit Putzen und der Organisation von Matratze, Bettwäsche, Küchengeschirr und Vorhängen. Es kostete sie einen ganzen Tag, um das Geländer der Veranda abzuschleifen und neu zu beizen. Sie fand, dass diese kleine Veränderung ihr neues Heim bereits in einem besseren Licht erscheinen ließ. Ein weiterer Vormittag war für die Beseitigung abgefallener Palmwedel draufgegangen, wobei ihr der Gärtner des Resorts behilflich gewesen war; anschließend
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