Die verbotene Geschichte: Roman (German Edition)
lebte, aber Martin wurde oft von ihm bedrängt. Bibi hatte schließlich sogar einheimische Jungen verletzt und war dabei erwischt worden, wie er Tiere tötete. Emmas Entschluss, das schwierige Kind mit nach Europa zu nehmen, hatte sie damals alle aufatmen lassen.
Johanna blickte langsam auf, sah ihrem Besucher in die Augen und fragte sich, wie es heute wohl hinter der Fassade dieses adrett gekleideten jungen Mannes aussehen mochte.
Heinrich von Beringsen beobachtete sie aufmerksam. Ihr Zittern konnte ihm nicht entgangen sein. Sie riss sich zusammen.
»Was für eine Überraschung! Wie schön, Sie nach all den Jahren wiederzusehen, Bibi! Was hat Sie denn ausgerechnet in den Norden Australiens verschlagen?«
Er antwortete in einem Ton, als wären sie Nachbarn, die nur einen Plausch über den Zaun hielten.
»Ich befinde mich auf einer längeren Reise. Erst Papua, jetzt Australien. Weißt du, es hat mich in den letzten Jahren viel Kraft gekostet, dort hinzukommen, wo ich jetzt stehe. Aber nachdem ich die meisten meiner Träume in Europa verwirklicht habe, kehre ich zurück. Irgendwann treibt es doch jeden dahin zurück, wo er herstammt, oder etwa nicht?«
Johanna sah keinen Grund, weshalb sie diesen Mann länger siezen sollte. Er hatte sie jetzt schon zum zweiten Mal geduzt. Wollte er sie einschüchtern? Sie bemühte sich, gelassen zu klingen.
»Papua, ich verstehe. Und was machst du hier in Australien?«
»Mutter erzählte mir, dass ich dich hier finden würde. Es war mir wichtig, dich zu sehen und dir dafür zu danken, wie du mir und Phebe geholfen hast. Damals, als ich noch klein war.«
»Wie lieb von dir. Nun, du musst dir unbedingt noch Mount Isa selbst anschauen, falls du dort nicht schon gewesen sein solltest.«
Plötzlich hörte Johanna Stimmen. Sie sah Bill und ihren Stockman Tommy den Weg heraufkommen, Holly lief ihnen wie immer schwanzwedelnd voran. Tommy war der dienstälteste Aborigine auf der Station. Bill und er arbeiteten seit vielen Jahren Hand in Hand. Es war ungewöhnlich, dass sie schon so kurz nach der Mittagspause zum Farmhaus zurückkamen. Hatten sie Heinrich kommen sehen?
Als Heinrich die Reiter sah, gefroren seine Gesichtszüge. Hastig wandte er sich Johanna zu.
»Nur kurz, Johanna. Als ich meine Mutter in Neuguinea besuchte …« Er pausierte für eine Sekunde. »… da hat sie mir Lügen über mich erzählt, gemeine Lügen. Es war äußerst schmerzhaft.« Johanna wagte nicht, sich zu rühren. Sein Ton war schärfer geworden, und er sah sie ernst, fast feindselig an. »Kannst du dir vorstellen, wie hart es ist, wenn dir jemand dein Erbe in Abrede stellt? Kannst du auch nur erahnen, wie es ist, wenn solche Worte aus dem Mund deiner eigenen Mutter kommen?« Er atmete schnell. Wovon sprach er da nur? Ging es etwa um Phebe? Johanna schaute verstohlen zu Bill hinüber, in der Hoffnung, dass er den Ernst der Lage irgendwie erkennen würde.
»Meine Mutter hat nicht nur gemeine Lügen über mich verbreitet. Sie sagte auch, dass du ihre Ansichten teilst.« Ja, er sprach von Phebe.
Johanna war schockiert. Kannte er denn noch immer nicht die Wahrheit? Oder was genau meinte er mit diesen »Lügen«? Sie sah ihm die Erregung an und wich einen Schritt zurück. Sein Brustkorb hob und senkte sich in schneller Folge, als er zu Bill und Tommy sah, die schon fast bei ihnen waren. Dann wandte er sich wieder ihr zu.
»Ich möchte, dass du eines weißt«, flüsterte er dicht an ihrem Ohr, »wenn ich noch einmal Lügen über mich und mein Erbe höre, egal von wem, werde ich diese Person töten. Egal, wer es ist. Wenn es sein muss, töte ich Phebe, die Kinder und dich dazu. Hast du mich verstanden?«
Johanna spürte seinen Atem und drehte angeekelt den Kopf weg. Ihr Zittern hatte aufgehört, und mit einem Mal spürte sie diese seltsame Ruhe, die sich manchmal in einem ausbreitet, wenn echte Gefahr droht.
Beinahe unwirklich gefasst, wagte sie es, den Blick auf Heinrich zu heften. Der Border Collie sprang mit einem Satz auf die Veranda und knurrte leise. Bill und Tommy stiegen von ihren Pferden und gingen zielstrebig aufs Haus zu. Heinrich hob die Hand zum Gruß, die Männer nickten ihm knapp zu, misstrauisch kamen sie näher. Heinrich ging ihnen entgegen, stellte sich vor.
»Sie müssen Bill Hunter sein. Meine Mutter Phebe hat mir nur Gutes über sie erzählt.« Dabei drückte er sich an Tommy vorbei, um Bills Hand zu schütteln.
Bill ließ es geschehen, aber seine Augen ruhten auf Johanna.
Weitere Kostenlose Bücher