Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
ist sie ermordet worden», fuhr Richter Blettner leise fort. «Wir fanden sie auf dem Friedhof in einer offenen Grube. Sie trug ein weißes Kleid, eine Mischung aus Hochzeitskleid und Totenhemd, und in der Hand hielt sie eine rote Rose. Könnt Ihr Euch darauf einen Reim machen?»
Die Frau starrte den Richter an, als wäre er der Teufel. Es dauerte eine Weile, bis sie die Sprache wiederfand. Noch immer schüttelte sie den Kopf und murmelte dabei «Nein, nein, nein» vor sich hin.
«Hole ihr einen Becher Wasser», befahl Blettner dem Schreiber, und der gehorchte.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Bäckerin fragen konnte: «Wie … wie ist das passiert?»
«Wir sind dabei, es herauszufinden», erklärte Blettner. «Gab es in der letzten Zeit besondere Vorkommnisse? Ist etwas Ungewöhnliches passiert? War Besuch im Haus?»
Die alte Bäckerin schluckte. «Seit mein Josef zu den Landsknechten gehen musste, ist nichts mehr, wie es vorher war.»
Blettner brannte die Zeit unter den Nägeln. Eigentlich hatte er rechtzeitig zum Angelusläuten zurück auf dem Römer sein wollen, um zu hören, was der Prediger von sich gab. Doch er sah ein, dass er für die Befragung der Frau etwas länger brauchen würde. Und er drängte auch nicht, denn noch immer drückte ihn die Schuld. Schließlich war er es, der den Josef zu den Landsknechten geschickt hatte. Einen Augenblick kam ihm die Frage in den Sinn, ob die Bäckerin noch leben würde, hätte er anders entschieden. Doch der Gedanke war zu schmerzhaft, als dass er ihn weiter verfolgen konnte.
Deshalb erwiderte er: «Das verstehe ich gut. Es ist hart, den Sohn in den Krieg schicken zu müssen. Trotzdem: Gab es in den letzten Tagen etwas Ungewöhnliches?»
Die Frau schüttelte den Kopf. «Hier läuft jeder Tag gleich ab. Und kein Tag bringt Gutes.»
«Bitte, denkt noch einmal genau nach. Jede Kleinigkeit ist wichtig.»
Die Frau schloss die Augen und presste die Lippen aufeinander. Blettner konnte richtig sehen, wie sie sich anstrengte, doch dann schüttelte sie erneut den Kopf. «Da war nichts. Rein gar nichts. Und die Luise war auch wie immer. Sie war sehr traurig, wisst Ihr? Dass der Josef nicht mehr da war, das hat ihr sehr zu schaffen gemacht. Manchmal hat sie mich am Abend gefragt, wie es nur weitergehen soll. Aber darauf hatte ich auch keine Antwort.»
«Hat sie jemals angedeutet, dass sie das Leben satthat, dass sie am liebsten tot wäre?» Blettner formulierte so behutsam wie möglich, während der Schreiber stumm wie eine Säule in der Ecke stand und sich Notizen machte.
«Nein. Nie. Nicht ein einziges Mal. So war Luise nicht. Nicht, solange sie den Josef noch am Leben wusste.»
«Hmm.» Blettner erhob sich. «Darf ich mich in den Räumen des jungen Paares ein bisschen umschauen?», fragte er.
Die Frau verstand nicht. «Wozu soll das gut sein?»
«Nun, vielleicht finde ich Hinweise darauf, was mit Luise geschehen ist. Etwas, dem man normalerweise keine Bedeutung beimisst, das aber im Nachhinein einen Hinweis geben könnte.»
Die Frau blickte ihn starr und ungläubig an, dann winkte sie ab. «Es ist sowieso alles gleichgültig, jetzt, wo Luise nicht mehr da ist. Und ob der Josef wiederkommt, das weiß Gott allein. Also nehmt mit, was Ihr tragen könnt.»
Der Richter tätschelte ihr unbeholfen die Schulter. «Gute Frau, wir wollen Euch bestimmt nichts wegnehmen. Wir wollen nur schauen, ob es etwas gibt, das uns sagen könnte, wer Luises Mörder war.»
Die Frau ließ den Kopf hängen und nickte. Einen Augenblick lang blieb Blettner noch neben ihr stehen, doch sie rührte sich nicht mehr. Erst als in einem entfernten Zimmer ein Kind weinte, stand sie auf.
«Macht nur, Ihr Herren. Schaut Euch um.»
Blettner hatte sich schon zum Gehen gewandt, da fiel ihm etwas ein. Er blieb stehen, legte einen Finger an sein Kinn und fragte: «Hat die Luise für irgendetwas Buße tun wollen?»
«Wieso fragt Ihr das?» Die Stimme der Schwiegermutter klang unendlich müde. «Hat nicht jeder von uns zu jeder Zeit Buße zu tun?»
«Da habt Ihr natürlich auch wieder recht.»
Blettner stieg die Treppe hoch, die sich zwischen der Küche und der Backstube befand, sein Schreiber folgte ihm. Oben rechts, mit dem Fenster zur Straße, befand sich die Wohnstube. Sie war eingerichtet wie die meisten Handwerkerwohnstuben. Ein in Blei gefasstes Fenster ließ gelbliches Licht in den Raum. Ein reichgeschnitzter Schrank stand an der Wand, davor ein robuster Tisch und mehrere gepolsterte
Weitere Kostenlose Bücher