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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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die Tränen in die Augen getrieben. So lieb hat die Meine das Kindchen gehabt. Vom ersten Augenblick an.»
    «Und dann habt Ihr es mit in die Stube genommen, nicht wahr?»
    Der Wirt nickte. «Den Ofen habe ich nochmal angeheizt und Wasser aufgesetzt. Und die Ricka hat Milch warm gemacht. Sie hat das Kindchen gehalten, und es hat die warme Milch von ihrem Finger gesaugt. Und dann hat es die Äuglein aufgeschlagen und hat uns nacheinander angeschaut. Bei Gott, Richter, direkt ins Herz hat uns das Kindchen geschaut, als wollte es uns sagen, dass es bei uns bleiben will.»
    «Und dann?»
    Der Wirt spuckte auf den Boden, wischte sich verstohlen mit den Fäusten über das Gesicht und zog ein strenges Gesicht. «Ins Bett haben wir’s getragen. Zwischen uns gelegt haben wir es, damit es nicht hinausfällt. Und die ganze Zeit hat es mit seinem kleinen Fäustchen Rickas Finger umklammert.» Er seufzte laut. «Und wir haben dagelegen und haben Gott für dieses Geschenk gedankt. Und nachgedacht, was wir den Leuten sagen. Und da hat die Ricka gemeint, es fühlt sich an für sie, als wäre es das eigene, als hätte sie es die ganze Zeit in ihrem Schoß gehabt. So lieb hatte sie das Kindchen da schon. Und sie hat noch gesagt, dass es gleichgültig ist, wo es denn herkommt, ein Gottesgeschenk sei es allemal. Und so haben wir gesagt, dass es das Unsere ist.»
    Richter Blettner konnte in den Augen des Ochsenwirtes lesen, dass es ihm ernst war mit dem Kindchen und seiner Liebe zu ihm. Er klopfte ihm auf die Schulter. «Ich werde dafür sorgen, dass das Kindchen bei Euch bleiben kann, wenn es keine Mutter mehr hat. Aber Ordnung muss trotzdem sein. Ein Advocat muss kommen und eine Urkunde ausstellen.»
    Eduard sah hoch. «Danke, Richter. Auch die Ricka wird’s Euch danken.»
    «Kein Grund zum Dank. Und jetzt sagt mir, woher Ihr das zweite Kindlein habt.»
    Eduard lächelte, als er sich erinnerte. «Es lag ein paar Tage später auf der Schwelle. Genau wie das erste. Dieses Mal hatten wir schon Muttermilch im Haus. Während die Ricka es genährt hat, das Neue, habe ich den Bub im Arm gehalten. Ganz fest habe ich ihn gehalten, und gestaunt habe ich über die kleine Nase und die winzigen Finger.»
    «War was dabei bei den Kindern? Ein Schreiben, Sachen mit eingesticktem Monogramm? Ein Kettchen, ein Medaillon oder sonst was?»
    Eduard schüttelte den Kopf. «In Schaffelle waren sie gewickelt und mit Bast verschnürt. Alle beide.»
    «Aha. Und wo sind die Schaffelle jetzt?»
    Eduard sah betreten zu Boden. «Verbrannt haben wir sie.»
    «Verbrannt? Warum habt Ihr das getan, um Gottes willen?»
    «Sie lagen allein und hatten wohl Angst. Die Schaffelle waren verschmutzt, versteht Ihr? Gestunken haben sie. Wir mussten die Kindchen gleich baden, so verschmiert war ihre Haut. Blut und Schleim und was weiß ich noch. Es waren doch aber schon unsere Kinder, versteht Ihr, Richter? Deshalb mussten die Felle weg.»
    Blettner seufzte. Natürlich verstand er. Er hätte es nicht anders gemacht.
    «War etwas an den Fellen oder am Bast, das Euch aufgefallen ist? Irgendetwas Besonderes?»
    Der Wirt sah fragend hoch.
    «Ein Geruch vielleicht oder eine seltene Zeichnung oder ein merkwürdiger Knoten im Bast, meine ich.»
    Eduard schüttelte den Kopf. «Nein, mir ist nichts aufgefallen. Und glaubt mir, wenn da was war, so habe ich es vor lauter Glück nicht bemerkt.»
    Blettner nickte und stand auf.
    «Und jetzt?», fragte der Wirt angstvoll. «Was geschieht jetzt? Ricka wird es das Herz brechen. Ihr könnt uns die Kindchen nicht wegnehmen.»
    Blettner schüttelte den Kopf. «Hier werden keine Herzen gebrochen und keine Kinder weggenommen. Zunächst bleibt alles beim Alten. Ihr haltet den Mund und bleibt bei der Geschichte der unerwarteten Schwangerschaft. Ich werde nach den Müttern suchen, aber ich bin beinahe sicher, dass sie nicht mehr am Leben sind. In ein paar Wochen, wenn sich alles etwas beruhigt hat, werde ich Euch einen Advocatus schicken, wegen der Papiere. Und bis dahin kein Wort. Auch nicht zu Ricka. Ihr wollt sie doch nicht beunruhigen, oder?»
    Eduard sah aus, als wäre ihm eine Last vom Gewicht des Domes von der Schulter gefallen. Wieder ergriff er die Hand des Richters. «Ich danke Euch, ich danke Euch vielmals. Ihr sollt wissen, dass im Roten Ochsen immer eine Kanne Wein für Euch bereitsteht. Immer, zu jeder Zeit.»
    «Keine Bestechung, bitte», brummte Blettner. «Es reicht schon aus, wenn Ihr mir die Kanne immer bis zum Rand füllt.»

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