Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Inhaltsübersicht]
Kapitel 22
J utta Hinterer achtete darauf, dass sie von niemandem beim Betreten der Apotheke gesehen wurde.
Die Stadt lag still, seit die Glocken des Domes die Mittagsstunde verkündet hatten. Die meisten Frankfurter saßen gerade vor ihrem Essen. Nicht einmal die streunenden Hunde trieben sich mehr auf der Straße herum.
Zufrieden nickte Jutta und drückte die Tür zur Apotheke auf.
Drinnen erklang eine Glocke, und gleich darauf kam der Apotheker in den Verkaufsraum, um den Hals noch die Serviette und Bratensoße in den Mundwinkeln. «Was wollt Ihr, gute Frau? Habt Ihr keinen Mann zu Hause, dem der Magen knurrt?»
Jutta zog ein bekümmertes Gesicht. «Doch, das habe ich. Oder besser gesagt, das hatte ich. Nun liegt er krank darnieder und der Medicus hat kommen müssen. Es geht zu Ende, sagt der, nur eine Hoffnung gäbe es noch.»
«Braucht Ihr ein Kraut? Was hat er denn, der Eure?»
Jutta rang sich ein Schluchzen ab. «Die Auszehrung hat er. In der Nacht muss er husten, dass es klingt, als säße der Höllenhund in seiner Brust.»
«War schon Blut dabei? Beim Husten meine ich?»
Jutta machte eine unbestimmte Kopfbewegung, dann beugte sie sich über den hölzernen Apothekertisch und legte einen blitzblanken Goldgulden darauf. «Der Medicus hat mich zu Euch geschickt», flüsterte sie. «Er sagt, Ihr wüsstet ein sicheres Mittel. Am Geld soll’s nicht liegen. Er ist ein guter Mann, müsst Ihr wissen.»
Der Apotheker wischte sich mit der Serviette die Bratensoße vom Mund. «Was hat er genau gesagt, der Medicus? Hat er etwas empfohlen?»
«Wartet, ich habe es aufgeschrieben.» Sie kramte umständlich einen Fetzen Papier aus ihrer Rocktasche und las stockend ab. «Sanguis hominis und ein Töpfchen Armesünderfett», raunte Jutta. «Er sagt, Ihr wüsstet dann schon.»
«So, so, das hat er also gesagt, der Medicus.»
Jutta nickte.
«Und wisst Ihr auch, was das ist, das Sanguis hominis und das Armesünderfett?»
Jutta riss die Augen auf und presste eine Hand auf ihr Herz. «Ich bin eine einfache Frau. Mit ausländischen Sprachen kenne ich mich nicht aus. Es heißt, habe ich gehört, dass die Gelehrten allen Dingen seltsame Namen geben. Ich denke mir, es handelt sich vielleicht um Thymian oder eine Salbe mit Thymian darin.»
Der Apotheker sah Jutta prüfend an, und die Geldwechslerin trug ihr Sonntagsmessengesicht zur Schau.
«Na gut», erklärte der Apotheker. «Der Medicus hat recht. Ich werde Euch die Mittel für den Euren herstellen.»
Jutta riss wieder die Augen auf und guckte kuhdumm. «Kann ich sie nicht gleich mitnehmen? Der Meine, er quält sich sehr.»
«Gut Ding will Weile haben», belehrte sie der Apotheker. «Ich bin schließlich kein Kräuterweib. Ich muss abmessen und abkochen und auswiegen und die Rezepturen zusammenstellen. Das braucht viel Aufmerksamkeit und ein großes Wissen über Mensch und Natur. Bescheidet Euch und kommt morgen wieder.»
Er grabschte nach dem Gulden und steckte ihn in sein Wams. «Für das Geld da kriegt Ihr ein Töpfchen Armesünderfett. Für das Sanguis hominis müsst Ihr noch einmal in die Tasche greifen. Ihr versteht, ich muss kostbare Ingredienzien verwenden, die ich höchstselbst anmischen muss. Der Rohstoff dafür kommt von weit, weit her, ich muss ihn erst besorgen. Der Eure ist Euch das doch wert, oder?»
Jutta Hinterer nickte eifrig, versprach einen weiteren Gulden und verließ die Apotheke.
Als Richter Blettner zurück ins Malefizamt kam, wartete der lutherische Pfarrer Küttler schon auf ihn.
«Wer hat Euch herbefohlen?», fragte Blettner.
«Der Schultheiß. Zum Glück schickte er einen Schreiber und ließ mich nicht von den Bütteln vorführen.»
«Warum sagt Ihr ‹zum Glück›? Habt Ihr denn etwas zu befürchten?»
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. «Ich habe nichts Unrechtes getan. Aber unser Glauben ist neu. So manchem passt nicht, wie wir reden.»
Blettner nickte und sperrte seine Tür auf. «Kommt herein und berichtet. Den Schreiber rufe ich später dazu, wenn Euch das recht ist.»
Der Pfarrer seufzte erleichtert auf. «Ich werde Euch Rede und Antwort stehen, wie es sich für einen guten Christen gehört. Aber nun sagt mir endlich, warum ich hier bin.»
Blettner setzte sich und machte Küttler ein Zeichen, ebenfalls Platz zu nehmen. «Es geht um das Findelhaus, Pfarrer. Was wisst Ihr darüber?»
Der Pfarrer seufzte tief auf. «Das Findelhaus, ja. Es drückt mir aufs Gewissen. Vater Raphael ist gewiss nicht der
Weitere Kostenlose Bücher