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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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da was Besonderes dran? Ein eingebranntes Zeichen vielleicht? Ein ungewöhnlicher Griff? Irgendwas?»
    Klärchen Gaube schüttelte den Kopf. «Mir ist nichts aufgefallen. Die Milchkannen sahen genauso aus wie die, die ich in meiner Vorratskammer stehen habe.»
    «Zeig sie mir.»
    Die gute Haut erhob sich und brachte vier Kannen aus der Kammer.
    Gustelies untersuchte jede einzelne von ihnen. An einer fand sich eine Delle, bei einer anderen war ein Riss im Holzgriff zu sehen. Die beiden letzten waren so gewöhnlich, dass Gustelies nicht bemerkt hätte, wenn sie jemand gegen ihre Kannen ausgetauscht hätte.
    «Nimm deine Kannen wieder», sagte sie. «Aber die nächste, die mit Blut gefüllt ist, die untersuche genau. Nimm meinetwegen ein Augenglas dafür. Achte auf jede Delle, auf jede Abschürfung. Sieh auch unten auf dem Boden nach. Suche nach einem Zeichen, einer Einritzung. Was zahlen sie dir eigentlich für die Lattwerch?»
    Klärchen schluckte. «Für vier Halbpfünder bekomme ich einen halben Gulden.»
    «So viel?», fragte Gustelies erstaunt.
    «Ja. Aber es ist das einzige Einkommen, das ich habe.»

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 27
    A ls Gustelies den Liebfrauenberg hinunter zum Malefizamt ging, war ihr Schritt langsam. Einige Male blieb sie sogar unentschlossen stehen, fühlte unter dem Tuch auf ihrem Korb nach dem Töpfchen.
    Aus dem Nieselregen war ein Landregen geworden, der allmählich in einen Starkregen überging, aber Gustelies bemerkte davon nichts.
    Sie sah das Wasser, das sich im Rinnstein staute, blicklos an, bemerkte die junge Frau nicht, unter deren nassem Kleid sich die Körperformen abzeichneten, rümpfte nur einmal die Nase, als ein Hund neben ihr die Nässe aus seinem Fell schüttelte. Der Regen dämpfte alle Geräusche. Sein Rauschen verschluckte das Rumpeln der Fuhrwerke, die Flüche aus den Werkstätten, das Schwatzen der Mägde.
    Das Wasser hatte Gustelies’ Haube durchtränkt, rann in einem schmalen Streifen über ihre Stirn und von dort über die Wange bis hinunter zum Hals. Gustelies wischte mit ihrer nassen Hand darüber und setzte nachdenklich einen Fuß vor den anderen. Soll ich Heinz wirklich erzählen, dass die gute Haut mit Menschenblut kocht? Soll ich ihr die einzige Einnahmequelle nehmen, die sie als Witwe hat? Wenn ich rede, dann steht sie alsbald womöglich ganz ohne ihre halben Gulden da. Bin ich schuld daran, wenn sie im Winter kein Brennholz hat? Ist es meine Schuld, wenn sie kein Schmalz und kein Brot kaufen kann?
    Oh, Gustelies war keineswegs so unwissend, wie sie tat. Sie wusste genau, was mit Menschenblut und der daraus gekochten Lattwerch geschah. Beinahe jeder wusste das. Und die, die sich unwissend stellten, sprachen nur nicht darüber.
    Als Papst Innozenz VIII . 1492 im Sterben lag, hatten seine Ärzte wohl drei lebende Knaben zur Ader gelassen und das Blut dem siechen Papst eingeflößt. Die Knaben starben. Der Papst auch.
    Gustelies wusste natürlich auch, dass viele Leute an die Kraft von Leichenfleisch glaubten. Als beste Stücke galten die von Gehenkten, wobei die Lieferanten am besten jung und gerade gehängt, gerädert oder geköpft sein sollten. Das Fleisch schnitt man in Stücke oder Scheiben, rieb es mit Weihrauch und Myrrhe ein und legte es für einige Tage in Weingeist. Man konnte die Fleischstücke auch wie Schinken in der Kammer räuchern. So sollte es bekömmlicher werden und nicht nach Verwesung riechen.
    Gustelies hätte wetten können, dass jeder zweite Apotheker in der Stadt und jede dritte Kräuterfrau mit solchen Dingen handelte, denn die meisten Leute glaubten, dass die Lebenskraft der Verstorbenen beim Verzehr ihrer Leichenteile oder ihres Blutes auf die Lebenden überging. Für Gustelies war das glatter Unfug. In der Bibel nämlich stand nichts über solche Praktiken. Und Gustelies war sich ganz sicher, dass der Herr, wenn er gewollt hätte, dass die Menschen sich gegenseitig auffraßen, ein elftes Gebot erlassen hätte, in dem es hieß: Du sollst deine Toten essen. Aber das hatte er nicht. Und deshalb war es Sünde, sich an den Toten zu vergreifen. Das war Gustelies’ Meinung, und von der ließ sie sich durch nichts abbringen.
    Ihr verstorbener Mann, Richter Kurzweg, hatte ihr sogar einmal von einem Fall berichtet, der einen ausländischen Herrscher betraf. Der nämlich bezahlte Unsummen an einen Heilkundigen, der behauptete, menschliches Hirn in einen Sud verwandeln zu können. Jeden Tag trank der Herrscher von dieser Essenz, um bei

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