Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Hella schrie beinahe.
«Das klingt wie ein Pakt mit dem Teufel.»
«Wenn der für mein Kind sorgt, soll es mir recht sein, denn Gott scheint sich nicht zu kümmern.»
Der Mann stand auf, legte Hella eine Hand auf die Schulter. «Seid nun ganz ruhig. Alles wird so werden, wie Ihr es wollt. Geht nun zu Bett. Ihr braucht noch viel Kraft.»
Er stand auf, nahm Hella den leeren Becher aus der Hand und stellte ihn in den Spülstein. Dann griff er nach der Decke um Hellas Schulter, legte sie ordentlich zusammen auf die Küchenbank.
Hella erhob sich. Sie fühlte sich plötzlich so schwer wie ein alter Fischerkahn, der mit Wasser vollgelaufen war. Sie glaubte, sie könnte keinen einzigen Körperteil bewegen, und ihr Hirn schien ebenso stillzustehen. Ich will hierbleiben, war alles, was sie denken konnte. Hier, in dieser Küche.
Doch der Jedermann griff ihr unter den Arm, zog sie behutsam hoch. «Wie ich sehe, seid Ihr müder, als ich gedacht habe.»
«Was war in dem Kräutertrank?», versuchte Hella zu fragen, doch auch ihre Zunge, ihre Lippen gehorchten ihr nicht mehr.
Sie hing am Arm des Mannes, der ihr eine so schreckliche Zukunft ausgemalt hatte. Langsam führte er sie eine schmale Stiege hinauf.
Sie wusste kaum, wie sie in das Zimmer gekommen war. In dieses einfache Zimmer mit dem einfachen Holzbett, auf dem eine dicke, weiche Decke lag und ein Kissen, so prall gefüllt wie eine dicke Gewitterwolke.
«Legt Euch hin», murmelte der Mann. «Legt Euch.»
Hella nickte, schlüpfte aus den Holzpantinen, und der Mann fasste sie unter den Knien und schwang ihre Beine auf das Bett. Dann deckte er sie zu, strich ihr kurz übers Haar. «Eine gute Nacht», wünschte er, dann war er verschwunden.
Als seine Schritte auf der Stiege verklungen waren, richtete Hella sich auf. Sie versuchte, die Müdigkeit abzuschütteln, und sah sich um. Das Zimmer war praktisch leer. Außer dem Bett stand nur noch ein Stuhl darin, auf dem ihr Umhang lag. In der Ecke neben der Tür befand sich ein Waschtisch. Mühsam rappelte Hella sich hoch. Sie musste sich regelrecht zwingen, die Augen offen zu halten.
Dann taumelte sie zu dem Waschtisch, goss aus dem Krug Wasser in die Schüssel und tauchte ihr Gesicht hinein.
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Kapitel 35
J utta Hinterer atmete auf, als Gustelies endlich schlief. Sie saß noch eine kleine Weile neben ihrem Bett und lauschte den gleichmäßigen Atemzügen, die nur hin und wieder von einem herzzerreißenden Schluchzer unterbrochen wurden.
Mitleidig strich Jutta der Freundin über die Schulter, zog ihr die Decke bis zum Kinn hinauf. Dann stahl sie sich leise aus der Schlafkammer.
Die Schwärze der Nacht ging langsam in das Grau des neuen Tages über, aber Jutta spürte noch immer keine Müdigkeit. Alle ihre Sinne waren geschärft. Jedes noch so kleine Ding am Wegesrand nahm sie wahr, jedes noch so leise Geräusch drang an ihr Ohr.
Sie eilte durch die Gassen, vorbei an den geschlossenen Fensterläden, hinter denen die braven Frankfurter den Schlaf der Gerechten schliefen.
Einmal sah sie eine junge Frau verstohlen aus einer Tür huschen, dahinter wurde kurz ein Mann mit freiem Oberkörper sichtbar. Es war ein Handwerksgeselle, dessen Frau für ein paar Tage zu ihrer Schwester gereist war.
In der Töngesgasse begegneten ihr zwei Männer, die einen Handkarren hinter sich herzogen, dessen Last mit einer Plane bedeckt war. Die Männer hatten ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und erwiderten Juttas Gruß nicht. Aber Jutta wusste auch so, dass es Peter und Paul waren, die beiden Fischer, die ihren ersten Fang heimlich und ohne Steuern dafür zu bezahlen an eine der zahlreichen Schänken verkaufen wollten.
Der Torwächter schlief. Sein Schnarchen war schon aus einiger Entfernung zu hören, und so war es Jutta ein Leichtes, die schwere Tür einen Spalt aufzuschieben und hinaus in die Vorstadt zu schlüpfen.
Im Haus des Henkers brannte bereits Licht, doch das war nichts Ungewöhnliches. Sein Beruf erforderte es, dass er manche Dinge in der Nacht erledigte.
Auch aus Minervas Kate schimmerte ein Lichtschein.
Jutta verkniff es sich, zu klopfen. Sie stieß einfach die Tür auf und befand sich mitten in der Stube der Kräuterfrau. Die Tür, die nach links in den Nebenbau führte, stand offen, und Jutta hörte die Kräuterfrau singen. Es war ein trauriges Lied, das von Abschiedsschmerz um den Liebsten handelte.
Jutta rief leise Minervas Namen. Der Gesang brach unvermittelt ab, und die Kräuterfrau
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