Die Verdammten der Taiga
entsetzt, Andrej? Warum?« Die Susskaja schob sich an seine Seite und legte ihren Kopf in seinen Schoß. Ihr Gesicht, dieses herrliche Gesicht, in dem sich zwei Welten trafen, lag wie eine Scheibe aus Porzellan vor ihm. »Erinnerst du dich? Vor dem Flugzeug, in Suchana, sahen wir uns zum erstenmal an. Dann blicktest du weg und tatest gleichgültig. Aber ich war schon in dir. Ich steckte in dir wie ein feuriger Dorn. Sag nicht nein! Ich weiß es …«
»Ja …«, sagte Andreas heiser. »Ja, Katja, so ist es.«
Er umfaßte ihr Gesicht mit beiden Händen, beugte sich zu ihr hinunter und küßte sie. Die Wärme ihrer Lippen und die Wärme ihres Leibes waren rätselhaft wie diese helle, warme, vielleicht letzte Herbstnacht, ein aufbrausender Brand von Leben, hinter dem dann die leblose Asche steht.
»Wie ich dich liebe –«, sagte die Susskaja und schwamm mit ihrer Stimme davon. »Mein Gott, wie ich dich liebe, Andrejuscha … Ich bete Sibirien an für diese Liebe –«
Sie lagen umschlungen vor dem verglimmenden Feuer, wälzten sich über den Waldboden, verglühten ineinander und merkten nicht, daß Nadeshna Iwanowna aufgewacht war. Sie saß, schmal und zerbrechlich, ein Flaum von einem Menschen, neben dem bestialisch schnarchenden Putkin, umklammerte mit beiden Händen einen schweren Hammer und war bereit, mit ihm den herrlichen Schädel von Katja Alexandrowna einzuschlagen.
III.
Es war Makar Lukanowitsch Benerian, der arme Irre, der Nadeshna daran hinderte, zur Mörderin zu werden.
Plötzlich, ohne Ankündigung, ohne das bisherige Greinen oder Stammeln, schnellte sein Körper hoch, so wie sich ein Lachs aus den Strudeln der Flüsse schleudert, fiel zurück auf den Waldboden, und Benerian sagte mit einer schrecklich klaren und wohltönenden Stimme: »Kommandant, ich melde: drei Deutsche abgeschossen!«
Katja und Andreas fuhren auseinander, lagen schwer atmend nebeneinander, schwimmend im eigenen Schweiß und im Schweiß des anderen. Ihre nackten Körper zitterten und waren wie Öfen, die von der unhemmbaren Glut auseinandergesprengt worden waren und nun die Hitze über das Land verstreuten.
Jekaterina Alexandrowna wälzte sich auf den Bauch und stützte den Kopf in beide Hände. Sie starrte zu Benerian, der unter der Zeltplane hockte, mit ruckartigen Kopfbewegungen um sich blickte und an den Fesseln zerrte.
»Was war das?« fragte Andreas. Sein Atem zerhackte die Worte. Das war Wahnsinn, durchfuhr es ihn. Mein Gott, welch ein lodernder, herrlicher, himmlischer, zerstörender, alles verbrennender Wahnsinn! Er lag auf dem Rücken mit gespreizten Gliedern wie ein aufgespannter Schmetterling. Die riesigen Bäume, in deren nachtschwarze Kronen er blickte, tanzten vor seinen Augen, verloren die bizarren Formen, verschwammen wie Spiegelbilder auf einer Wasserfläche, in die plötzlich jemand einen Stein wirft. Er hörte Katjas Stimme, aber er verstand kein Wort … sein Hirn war verglüht, alles an ihm war zerstört. Er wunderte sich nur, daß sein Herz so rasend klopfte und jeder Schlag wie ein Faustschlag in die Kehle war.
Die Susskaja beugte sich über ihn. Ihr schweißnasses langes Haar fiel über sein Gesicht wie ein Vorhang. »Makar Lukanowitsch macht schon Fortschritte, habe ich gesagt.« Ihre Stimme war ein einziges Streicheln und Küssen.
Andreas schloß die Augen und genoß diesen Ton. Rußland ist voller Wunder, dachte er. Das habe ich einmal gelesen und darüber gelacht. Dann bin ich in dieses Land gekommen mit der Kaltschnäuzigkeit des kapitalistischen Herrenmenschen. Ein Mensch vom anderen Stern. Was ist jetzt aus mir geworden? Ich habe mich dagegen gesträubt, Bewunderung zu zeigen. Warum eigentlich? Weil mein Vater in diesem Land 1944 vermißt wurde? Weil irgendwo noch die verdammte Sucht der Deutschen sitzt, Lehrmeister aller Welt zu sein? Freundlich sein, unverbindlich reden, Hände schütteln, ab und zu ein lobendes Wort, aber immer deutlich werden lassen, daß man alles besser kann, daß man überlegen ist, daß jeder Kilometer weiter nach Osten ein Jahr der Rückständigkeit bedeutet – und wieviel Kilometer liegt Sibirien von der Ruhr entfernt, na, man rechne die Jahrhunderte aus, die da zusammenkommen – war das auch bei ihm so gewesen? Wie verbrannt war das jetzt alles. Wenn Rußland nur eine leere Scheibe gewesen wäre … Jekaterina Alexandrowna bedeutete alle Wunder, die eine Welt erschaffen konnte.
»Hörst du mich?« fragte sie. Sein kindlichseliges Gesicht unter dem blonden
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