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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ihre bedrohliche Art, sich zu bewegen, war zweifellos kein Zufall, sondern sorgsam einstudiert und sollte eben diese Wirkung erzielen.
Was nichts daran änderte, dass ihm diese Reiter Angst machten.
Er spürte, dass Abu Dun ihn anstarrte und ganz offensichtlich darauf wartete, dass er etwas sagte oder tat. Stattdessen jedoch blickte er
für einen Moment in den Himmel hinauf. Der Mond war ein gutes
Stück weitergewandert. Es konnte jetzt nicht mehr lange dauern, bis
man den bewusstlosen Wächter finden würde, oder die beiden, die
sie gefesselt auf dem Hof draußen zurückgelassen hatten… Andrej
sparte es sich, die Aufzählung der Spuren fortzusetzen, die sie auf
ihrem Weg hierher hinterlassen hatten. Ihnen blieb nicht mehr viel
Zeit, das war das Einzige, dessen er sicher war.
»Lass uns von hier verschwinden«, drängte Abu Dun. »Solange wir
es noch können.«
Andrej schüttelte den Kopf. »Nicht ohne Meruhe.«
»Du bist doch…«, begann Abu Dun zornig, brach aber dann mitten
im Satz mit einem Kopfschütteln ab und starrte ihn nur noch wütender an.
»Es geht nicht nur um sie«, erwiderte Andrej. Begriff Abu Dun
denn nicht, dass sie hier auf etwas Neues und vielleicht unglaublich
Wichtiges gestoßen waren? Es war nicht nur Meruhes wunderschönes Antlitz, das ihn faszinierte. Er hatte geglaubt, dass es so war,
dass es einfach der Mann in ihm war, der die Frau in ihr begehrte,
aber das war nicht alles. Meruhe war zweifellos nicht von ihrer Art,
und doch war sie auch alles andere als ein ganz gewöhnlicher Mensch. Da war ein Geheimnis, das sie umgab, etwas wie eine Seelenverwandtschaft, die sie verband und die er weder mit Worten noch
mit Gefühlen beschreiben konnte. Wieso fühlte Abu Dun es nicht?
»Wir haben keine Chance, sie auch nur zu finden«, versuchte Abu
Dun es noch einmal, wenn auch in resignierendem Tonfall, als wisse
er genau, wie wenig seine Worte bewirken konnten. Trotzdem fuhr
er fort: »Dieser verdammte Palast ist das reinste Labyrinth! Wie
willst du hier den Harem finden?«
Das hatte Andrej nicht vor. Er schloss nur abermals die Augen,
lauschte in sich hinein…
… und da war es. Dasselbe Gefühl, das er gerade gehabt hatte. Das
gleiche Empfinden einer verwandten Seele, das er schon vor so langer Zeit verspürt hatte, draußen in der Wüste, als Meruhe sich über
den toten Jungen gebeugt hatte, ohne dass er es damals schon erkannt
hätte. Es war da, ganz schwach nur, ein Hauch, gerade am Rande
dessen, was er überhaupt empfinden konnte. Aber er spürte ihre Nähe.
Tu es nicht.
Die Worte entstanden so klar in seinem Bewusstsein, als hätte sie
jemand unmittelbar neben ihm laut ausgesprochen. Andrej fuhr erschrocken zusammen und sah sich hastig nach rechts und links um,
doch sie waren allein.
»Was hast du?«, fragte der Nubier alarmiert.
Andrej warf noch einen weiteren, ebenso ergebnislosen Blick in die
Runde, bevor er den Kopf schüttelte und mit einem nervösen Lächeln
antwortete: »Nichts. Ich beginne nur langsam, nervös zu werden…
glaube ich.«
Abu Dun sah ihn auf eine Art zweifelnd an, die jede Antwort überflüssig machte, aber Andrej schüttelte noch einmal bekräftigend den
Kopf und wiederholte mit etwas festerer Stimme: »Es war nichts.
Komm. Ich weiß, wie wir sie finden.«
Nach allen Schwierigkeiten, auf die sie bisher gestoßen waren, kam
es ihm beinahe zu leicht vor. Der Palast hatte sich tatsächlich als das
Labyrinth erwiesen, als das Abu Dun ihn bezeichnet hatte, aber es
war angesichts der vorgerückten Stunde auch ein nahezu verlassenes Labyrinth, und den wenigen Wachen oder Bediensteten, die noch
immer auf den Beinen waren und ihren Aufgaben nachgingen, konnten sie ohne große Schwierigkeiten ausweichen.
Das Gefühl von Meruhes Nähe leitete ihn tatsächlich.
Abu Dun hatte ihn noch zwei oder drei Mal gefragt, was zum Teufel er überhaupt täte, aber Andrej hatte nichts darauf geantwortet. Er
konnte es nicht - und schließlich hatte es der Nubier aufgegeben und
sich auf gelegentliche, ärgerliche Blicke beschränkt, darüber hinaus
aber die Aufgabe übernommen, aufmerksam zu lauschen und darauf
zu achten, dass es keine unliebsamen Begegnungen gab, während
sich Andrej auf das trübe Flämmchen konzentrierte, das irgendwo in
der Dunkelheit vor ihm zu leuchten schien.
Je mehr er versuchte, die Natur dieser Flamme zu ergründen, desto
verwirrter wurde er. Da war eindeutig etwas, das sich sowohl seinem
Zugriff als auch seinem Verständnis

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