Die Verfolgerin - Roman
Geheimdienst mit einer Injektion durch eine Regenschirmspritze getötet worden ist. Lisa und Emilia schauen von ihrer Crème Caramel auf. Welches Gift, will Lisa wissen. Rizin. Ohja, sagt sie. Das ist todsicher. Woher man es bekomme, fragt Emilia. Das sei schwierig. Ich erzähle ihr von meiner Suche nach einer Herstellungsanleitung im Internet und von meinem Treffen mit dem Informationschef des Hochtox-Labors Spiez in Zürich. Hast du das vor?, fragt Lisa. Was?, frage ich. Menschen im Vorübergehen zu töten, sagt Lisa. Ich verfolge diesen Gedanken theoretisch. Was heisst das, will Lisa wissen. Emilia sagt, dass ihr da etwas einfalle. Sie habe kürzlich in den Südbayerischen Nachrichten von einer Selbstmordhilfeorganisation gelesen, mit Sitz in Zürich, vielleicht könnten die weiterhelfen. Weiterhelfen?, fragt Lisa. Sie erkundigt sich, was ich vorhabe. Ich tue so, als ob ich vorhätte zu töten. Ich gehe das einfach mal theoretisch durch. Ein lang gehegter Kindheitstraum, sage ich. Sie finde, dass dies ein interessantes Thema sei, sagt Emilia. Endlich mal was anderes als diese komischen Werbesachen und diese Texte in den Anzeigenblättern. Dafür hätte ich nicht Germanistik studieren müssen. Aber was sei denn interessant daran, darüber nachzudenken, wie man einfach so im Vorübergehen jemanden um die Ecke bringen könne, sagt Lisa. Jeder Mensch kann töten, wie er laufen, essen, sprechen oder den Garten umgraben kann. Dass die meisten Menschen nicht töten, liegt an ihren Lebensumständen. Die meisten haben einfach Glück und geraten nie in Konstellationen, in denen sie die Grenze überschreiten und töten, sage ich, und Emilia sagt, dass sie das Thema sehr spannend finde. Ich stimme zu und erzähle von den Gesichtern, die ich beobachte, und dass darunter welche sind, auf denen es keine Spuren von Empfindungen gibt. Die sind gelöscht wie Daten von einer Festplatte. Lisa sagt, dass sie jetzt lieber wieder über Crème Caramel und diesen Rübensaft, oder sei es Ahornsirup, reden würde. Auf ihrer Stirn liegen Falten. Sie wendet sich dem Dessertteller zu. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst.
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Die Sterbehilfeorganisation, von der Emilia sprach, arbeitet mit der verschreibungspflichtigen Substanz Natrium-Pentobarbital. Fünfzehn Gramm oral verabreicht würden genügen, steht in dem Artikel, den ich mir aus der E-Paper-Ausgabe der Tageszeitung ausgedruckt habe. Natrium-Pentobarbital verwenden Tierärzte, um Tiere einzuschläfern.
Ich habe mir ein Auto gemietet. Ein Auto wie es Geschäftsleute für ihre Reise mieten. Ich fahre nach Zürich. Es ist Freitagvormittag. Die beiden Söhne wollten am Wochenende nach Hause kommen. Geo ist da, habe ich ihnen gesagt und ihren Vater gemeint. Ich sei verreist. Das sei kein Problem, meinte der Ältere, der mich anrief. Dann zeigen wir ihm mal das Nachtleben. Der Ältere ergänzte: Nicht wie du denkst. Du musst dir keine Sorgen machen. Er habe sowieso meist Nachtdienst, sage ich.
Die Sterbehilfeorganisation befindet sich in Zürich. Im Süden der Stadt, in der Nähe des Krematoriums Sihlfeld. Mein Hotel befindet sich ebenfalls im Süden der Stadt. Den Leihwagen habe ich in der Tiefgarage des Hotels geparkt. Die sei nicht einfach zu finden, erklärt die Frau an der Rezeption. Die Tiefgarage sei ein paar Strassen weiter und ich müsse an der linken Einfahrt die rechte Spur nehmen. Sie reicht mir eine Skizze über die Empfangstheke und notiert sich meine Handynummer. Falls ich in einer halben Stunde nicht zurück sei, rufe sie mich an. Ich nehme auf der linken Einfahrt die rechte Spur und drücke, nachdem ich die Einfahrt passiert habe, den Knopf, um das Tor wieder zu schliessen. Gleich neben dem Tor finde ich die reservierten Stellplätze für das Hotel. Nur den Ausgang finde ich nicht. Ich nehme den Notausgang und gelange in ein enges Treppenhaus. Urinpfützen sind auf den Treppenabsätzen, in denen liegen leere Bierflaschen. Die Treppe führt auf ein Dach. Ich gelange über eine Feuerleiter in einen Hinterhof und von dort durch eine Hofeinfahrt auf die Strasse. Ich schalte das Handy aus und kehre nicht ins Hotel zurück, steige in die Strassenbahnlinie drei stadtauswärts. Es ist kurz nach zwanzig Uhr. Menschen mit Einkaufstüten kommen aus der Stadt, stehen in der Strassenbahn oder sitzen. Mir fällt ein Pärchen auf. Der Mann hat den Bart unter dem Kinn zu einem Zopf geflochten. Aus seinem mit grauen Haaren bewachsenen Gesicht lachen zwei Augen, ohne dass er lachen würde. Sie
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