Die Verfolgerin - Roman
ihrer Stimme in höhere Tonlagen. Das klingt etwas schrill, wie eine Geige, die gestimmt wird. Die Goldmann fährt nie U-Bahn. Sie fährt mit ihrem Auto. Oder sie lässt sich in ihrem Auto fahren, von einem Zivildienstleistenden, der manchmal zu ihrer Tochter kommt. Oder sie nimmt ein Taxi. Die beiden Firmeninhaber und die Marketingchefin nicken, während die Goldmann erzählt, zustimmend. Einer der Männer fragt die Goldmann, ob der Name des Magazins von ihr stamme, den würde er nämlich gleich übernehmen, der habe ihm auf Anhieb gefallen. Anhieb – das Wort gibt es nur mit auf. Die Goldmann sagt Ja. Ich sage, dass es ganz einfach gewesen sei, den Namen für einen Titel zu finden. Ich habe von meinem Arbeitszimmer aus meinen azurblauen Twingo stehen sehen. Es habe geregnet, da hätte die Farbe besonders schön geleuchtet. Und so sei der Name für das Magazin entstanden. ›Azur‹. Ich sage nicht, dass mir Azurblau nicht gefällt, wie mir auch kein anderer Blauton gefällt. Nur deren Namen: Ultramarin. Lapislazuli. Kobaltblau. Und ich sage nicht, dass mir das Magazin nicht gefällt und ich deshalb den Namen für geeignet halte. Ich sage mit diesen Worten lediglich, dass der Name für das neue Magazin von mir ist. Die beiden Geschäftsführer des Unternehmens grienen. Ihre Schultern zucken, als müssten sie das Lachen festhalten. Die Marketingchefin lobt den Entwurf und sagt, dass wir jetzt eine Pause einlegen.
In der Pause sitze ich mit einem der Werbeleute an einem Tisch vor dem Präsentationsraum. Er liegt bequem im Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen und die Hände in den Hosentaschen. Er fragt mich, was ich sei. Was bin ich? Das habe ich mich selbst oft gefragt. In diesem Fall muss ich Bezeichnungen benutzen, die er kennt. Unter denen er sich etwas vorstellen kann. Ich sage ihm, dass ich als Konzeptionerin und Werbetexterin hier sei. Für wen ich sonst arbeite, will er wissen. Ich sage, dass ich sonst Reden schreibe oder PR-Artikel oder Zeitungsartikel. Für wen, will er erneut wissen. Ich nenne die Verlage, ohne zu sagen, dass es Anzeigenverlage sind. Klingt spannend, sagt er.
Zurück fahre ich im Auto mit der Goldmann. Von Zürich nach München sind es vier Stunden. Wir sind in Winterthur, und die Goldmann steuert den Wagen durch Starkregen. Die Fahrt wird länger dauern, denke ich. Die Goldmann erklärt mir seit unserer Abfahrt in Zürich, dass Namen keine Rolle spielen. Sie meint Autorennamen. Sie sagt, dass Texte sowieso keiner mehr liest. Sie nennt mir Beispiele. Sie sagt: Schauen Sie die Broschüre für SW an. SW ist der weltgrösste Werkzeughersteller mit Firmensitz in einem österreichischen Alpental. Die Goldmann und ich waren vor einem Jahr bei einer Werkführung dabei. Wir durften auch in die Abteilungen, die besonderen Sicherheitsbestimmungen unterliegen. Die Goldmann hat die Werkzeuge als Schmuckstücke an halbnackten Models fotografieren lassen. Sie sagt, dass die Leute die Broschüre wegen der Fotos mitgenommen hätten. Nicht wegen der Texte. Die lesen die gar nicht. Schon gar nicht die Arbeiter. Sie waren ja dabei und haben es gesehen, sagt die Goldmann. Die Arbeiter hatten sich Fotos aus der Broschüre an ihren Arbeitsplatz gehängt. Ich denke das Wort quetschen, wenn die Goldmann ihre Stimme hebt. Ihre Stimmlage ist emotionslos. Ich sage in regelmässigen Abständen ja und jaja. Sie wiederholt das Gesagte. Texte lese heute keiner mehr, Autorennamen interessierten niemanden. Wir sind in Bregenz. Noch zwei Stunden bis München. Ich sage der Goldmann, dass das auf dem Buchmarkt anders sei, da zähle der Name. Je bekannter, umso besser. Der Text spiele da aber ebenso wenig eine Rolle, sagt die Goldmann. Eigentlich könne man Blindtext nehmen. Wahrscheinlich würde es nicht einmal jemand bemerken. Die Goldmann fragt mich, das Lenkrad wegen des Starkregens fest umklammernd, so dass ihre Fingerknöchel weiss schimmern, was ich denn in Zürich gemacht habe. Ich sage, dass ich wissen wolle, wie man Rizin herstellt. Ich solle einfach Rizinusöl nehmen, da sei doch Rizin drin, sagt die Goldmann. Nein, dann würden alle, die es verwenden, sterben, sage ich. Das glaube sie nicht. Wenn wir immer wüssten, was so alles in den Lebensmitteln drin ist, wir würden uns wundern, dass wir noch am Leben sind, sagt sie. Ich erkläre ihr, dass Rizin das giftigste in der Natur vorkommende Eiweiss ist. Dann kann es ja nicht im Rizinusöl drin sein, sagt die Goldmann. Wahrscheinlich sei das wie bei den
Weitere Kostenlose Bücher