Die Verfolgerin - Roman
die kaiserliche Familie gekocht. Heute könne man gar nicht mehr so kochen, das scheitere schon an den Küchengerätschaften, die es gar nicht mehr gebe. Sie koche auch gern, sagt Lisa. Aber doch lieber einfache Sachen, die gesünder seien. Soso, gesunde Sachen, sagt Emilia. Sie erzählt vom Fisch, den es in der Rehaklinik, in der sie war, immer gab, weil der für frisch am Herzen Operierte gesünder sei. Ich schneide das Kalbsherz in dünne Scheiben und verteile sie auf die Teller. Lisa fragt, was denn an Emilias Herz operiert worden sei. Emilia fällt ein, dass Lisa Pathologin ist. Sie sagt, dass sie bei ihr noch nicht im Wartezimmer sitze. Lisa sagt, dass sie kein Wartezimmer habe. Dass ihre Klienten in Kühlfächern auf sie warteten. Lisa zieht die Augenbrauen hoch, spitzt den Mund. Diese Gestik hält sie und beobachtet die anderen. Sie verkneift sich ein Lachen. Das gelingt nicht lange, dann lacht sie und zwinkert Emilia zu. Ich bringe die Teller. Emilia lobt den Duft, und überhaupt sehe sehr gut aus, was da auf dem Teller liege. Was das denn für ein Fleisch sei. Als ich Kalbsherz sage, schreit Emilia auf. Ein Herz, ob das mein Ernst sei. Ich müsste doch wissen, dass man Herzkranken kein Herz zum Essen servieren könne, ich als Frau eines Kardiologen. Wo er überhaupt heute sei? Ob er Dienst habe? Ich sage ja, Notoperation. Komplizierte Sache. Ich weiss nicht, warum ich von der Notoperation spreche, die eine Woche zurückliegt. Der Ehemann ist seit zwei Tagen auf einem Kongress in Paris. Emilia liebt Paris und hätte dann über Paris gesprochen, mutmasse ich. Lisa sagt, Herzen seien sehr gesund, vorausgesetzt, die Viecher seien nicht mit Medikamenten vollgestopft und hätten gesunde Nahrung bekommen. Innereien würden Eiweisse, Vitamine und Mineralstoffe enthalten. Ich sage, dass ich das Kalbsherz nach einem alten Rezept zubereitet habe. Emilia sagt, dass eine Operation am offenen Herzen ein besonders traumatisches Erlebnis sei, da das Herz ein besonderes Organ sei. Im Mittelalter habe man gedacht, dass Menschen mit dem Herzen denken, sagt Lisa noch und meint, wir sollten doch endlich essen, sonst würde das Kalbsherz noch kalt. Emilia schneidet sich ein Stück von einer der Kalbsherzscheiben ab, als hätte sie vergessen, dass es sich um ein Herz handle. Sie sagt, mit dem Herzen zu denken, sei gar nicht so verkehrt. Lisa trinkt ihr Glas Rotwein in einem Zug leer, holt Luft und erklärt: Das Bauchgehirn, die Stelle, wo sich Verstand und Gefühl treffen, der Plexus solaris, das Sonnengeflecht, liege oberhalb des Bauchnabels. Es sei das zweite Gehirn, weil die Zelltypen genau so aufgebaut seien wie im Kopfgehirn. Emilia hat bereits eine Scheibe vom Kalbsherz verspeist. Sie unterbricht Lisa und sagt, genau das sei ja das Besondere am Herzen, dass eben unser Herz mehr sei als ein Muskel, der Blut pumpe. Wir würden ja auch von Herzensangelegenheiten und Herzensentscheidungen sprechen. Lisa trinkt erneut mit einem Zug ihr Weinglas leer, bevor sie spricht. Sie sagt, dass diese Redensarten alle aus dem Mittelalter und aus früheren Zeiten stammten, weil man damals noch nichts vom Plexus solaris gewusst, sondern angenommen habe, der Sitz der Seele befinde sich im Herz. Emilia streicht über den Kalbsherzhappen auf ihrer Gabel Kartoffelpüree und träufelt Sosse darauf. Die Menschen hätten früher überhaupt viel mehr erfühlt und eine viel bessere Beziehung zu sich selbst und zum Leben gehabt, sagt Emilia. Auch darüber könne man streiten, sagt Lisa. Ich stelle die Birnentorte auf den Tisch und einen Krug Schokoladensosse. Hm, das duftet, sagt Lisa. Emilia springt auf. Sie erinnert sich an die Crème Caramel. Sie holt die Glasschale aus dem Kühlschrank, während ich die Birnentorte aufschneide und auf die Teller verteile. Emilia stellt die Glasschale neben die Birnentorte. Die Crème Caramel hat die Konsistenz eines Puddings, der in dunkelbraunem Saft glänzt. Ein spezieller Rübensaft, den man über die Créme geben müsse, damit nach vier Stunden Karamelsaft entstehen kann, erklärt Emilia. Sie wunderte sich, dass sich doch noch ein Saft gebildet hat. Emilia und Lisa verspeisen die Crème Caramel. Emilia zeigt auf die Birnentorte und sagt, dass die auch sehr gut sei. Ich sage, dass es ganz einfach wäre, jemanden zu töten. Auf der Strasse zum Beispiel. Einfach im Vorübergehen. So wie der bulgarische Schriftsteller und Dissident Georgi Markow im Jahre 1978 auf der Waterloo Bridge in London vom bulgarischen
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