Die Verfolgerin - Roman
nicht hin. Ich bin auch nicht hingefallen. Vor dem Dschungelhaus schlendert eine Löwin am Rande des Wassergrabens hin und her. Ich komme näher. Ich erwarte, dass sie mich anschaut, dass sie kurz stehen bleibt. Nichts. Sie geht hin und her. Im Dschungelhaus steht eine Frau in Gummistiefeln mit T-Shirt bekleidet, den Rücken zu mir gedreht. Sie hält einen Wasserschlauch direkt in das Dickicht von Palmen und Schlingpflanzen. Sie dreht sich nicht um, als ich eintrete. Ein Löwe, der im Dschungelhaus auf einem Plateau liegt, sieht mich an. Er nimmt mich ins Visier. Ich spaziere an ihm vorbei. Ich verfolge aus den Augenwinkeln, ob er mir hinterher schaut. Er tut es nicht. Er starrt weiterhin auf die Stelle, an der ich stand. Irgendwo im Dschungelhaus schreit ein Tier. Ein qualvolles Schreien. Das Schreien kommt aus der Ecke, in der die groben Holzspäne liegen. Tiger liegen darin. Ihr Fell ist dicht. Ein Tiger schleckt einer kleineren Tigerin das Fell ab, die rekelt sich. Das Brüllen kam nicht von den Tigern. Woher es kam, kann ich nicht erkennen. Ich bin wieder draussen, die frostige Luft dämpft die Geräusche. Ich mag das und wünsche mir diesen Moment auszudehnen, bis ich genug davon habe. Afrikanische Wildhunde laufen am Zaun entlang im Schnee. Die folgen mir. Folgen sie mir wirklich oder laufen sie nicht schon seit Stunden immer bis zur gleichen Stelle, kehren um, laufen zurück, kehren um. Nein. Sie folgen mir. Bis zum Ende des Gatters. Auf einem Hügel recken sich sibirische Tiger dem grauen Morgen entgegen. Ich hätte gern einen Kaffee. Es gibt keinen im Zoo. Alle Kioske sind geschlossen.
26
Am nächsten Tag ist der Termin mit dem Bürgermeister. Ich hätte ihn vergessen, wenn die Goldmann mich nicht angerufen hätte, weil sie wissen wollte, ob alles geklappt habe. Ich bin mit dem Bürgermeister für elf Uhr verabredet. Till und sein Team sind dabei. Walther Simon heisst der Bürgermeister. Ein massiger Mann um die sechzig, der mir bei der Begrüssung fest die Hand drückt und in die Augen schaut. Sein Gesicht ist gross mit vielen Falten drin. Ein Mann, der immer noch massig wirkt, obwohl er abgemagert ist. Seine Haut hängt schlaff an ihm herunter, wie bei Elefanten, die monatelang durch südafrikanische Landschaften gezogen sind und weder Wasser noch Nahrung gefunden haben. Unter den Falten in seinem Gesicht sind viele Lachfalten. Auf seiner Stirn glänzen Schweissperlen. Er holt ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche und wischt sich damit über die Stirn. Ein weisser Transporter, auf dem der Name und das Logo von Tills Produktionsfirma stehen, fährt auf das Gelände des Abfallbeseitigungsunternehmens. Das sehe wichtig aus, meint der Bürgermeister und zeigt auf das Auto. So bekannt sei er doch gar nicht, und auch das Unternehmen sei nichts Besonderes. Seit siebzehn Jahren erzähle er immer das Gleiche. Die Biokompostanlage sei neu. Das sei alles. Ich sage ihm nicht, dass die wegen mir da sind. Till geht strahlend auf den Bürgermeister zu, als kenne er ihn schon lange. Er sagt dem Bürgermeister, dass er das Interview filmen wolle. Nicht für eine Nachrichtensendung, sondern für eine Art Dokumentation über Geisteswissenschaftler, und was die so alles treiben. Er lacht und zwinkert dem Bürgermeister zu. Dann gehen wir mal, sagt der Bürgermeister. Er lacht nicht, sondern sucht kurz meinen Blick. Wir stehen vor einem hallengrossen grünen Container. Das ist sie, sagt der Bürgermeister und zeigt mit dem Arm in Richtung der Anlage. Es gebe nicht viel zu sehen, wie sie funktioniere, könne ich auf der Website lesen. Er habe bereits alles gesagt und das nicht nur ein Mal. Die für die Menschen wichtigen Dinge müssen in kommunaler Hand bleiben, dazu gehöre auch die Abfallbeseitigung. Wichtiger sei noch die Wasserversorgung, die medizinische Versorgung, die Energieversorgung. Die Kommunen müssten in den Bereichen autark bleiben, egal, ob die in Brüssel das anders sehen. Die Verteilungskämpfe würden kommen. Und dann seien die Kommunen fein heraus, die ihren Bürgern die Basisversorgung zu guten Preisen anbieten können. Das solle ich dann halt eben nochmal schreiben. Das sei auch schon egal. Er wischt sich mit seinem Taschentuch den Schweiss aus dem Nacken. Ich stimme ihm zu. Ich weiss nicht, ob der Bürgermeister das hört. Wir gehen zu einer Halle, hinter der Halle liegt zu einem Hügel aufgetürmt ausgebaggerte Erde. Die ist tiefgefroren. Ich weiss nicht, was ich den Bürgermeister fragen soll. Den
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