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Die Verfolgerin - Roman

Die Verfolgerin - Roman

Titel: Die Verfolgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition 8
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packe zuerst das Stövchen aus und die Kanne und eine Tasse. Ich stelle sie auf den Esstisch. Ich lege auf einen Kuchenteller Anisplätzchen und Plätzchen, die Orangenstangen heissen. Ich schenke mir jedes Jahr etwas zu Weihnachten. Im letzten Jahr den goldenen Ring mit einem roten Rubin. Ich stelle auf den Esstisch neben das Geschirr Maria die Aluminiumschachtel mit dem Etikett für Pfefferminzpastillen und den Platinkügelchen darin. Auf dem Tisch steht in einer Vase eine langstielige rote Rose, die schiebe ich dazu. Und ich hole die Holzschachtel mit der Mattglasscheibe, in die das graue Steinchen eingelassen ist. Ich bereite mir einen Yogitee. Besonders stark. Giesse ihn in die Kanne des Geschirrs Maria und trinke ihn mit heisser Milch und Honig. Es ist schön, so zu sitzen und all die Dinge, die auf dem Tisch stehen, anzuschauen. Ich lebe in einem Roman und das fühlt sich gut an. Als ich die Nummer von Till wähle, höre ich einen Schlüssel im Schloss der Haustür. Der Mann kommt nach Hause. Till meldet sich am Telefon. Ich sage: Hallo Till und frage ihn, warum er mich über eine Webcam filme, ohne es mit mir abzusprechen. Der Mann sagt Hallo, während ich telefoniere. Er trägt noch seinen grauen Anzug und sein schwarzes Hemd. Beide sind zerknittert. Er wirkt müde. Übernächtigt. Seine Gesichtshaut ist grau. Er muss von Celine gleich in die Klinik gefahren sein. Till sagt am Telefon: Ah, dann hat der Requisiteur also doch nicht seine Klappe halten können. Das dachte ich mir schon. Ich zeige auf die Teekanne und den Karton mit dem Geschirr. Ich deute dem Mann, dass er sich eine Tasse und einen Tee nehmen und sich zu mir setzen könne. Der Mann geht in die Küche. Till fragt, ob ich noch am Telefon sei. Ja, sage ich. Stört dich das?, fragt Till. Ich weiss nicht, ob mich das stört, weil ich es ja jetzt weiss, sage ich. Wann hast du wieder Zeit?, fragt Till und: Dein Mann ist da? Ich sage: Ja. Er sitzt mir gegenüber. Wir trinken Tee. Ich bin am zweiten Januar im Studio, allein, sagt Till und legt auf. Ich habe noch das heisere Röcheln von Till im Ohr und von seiner angekratzten tiefen Stimme, als er schon längst aus der Leitung ist. So klingt Till auch, wenn wir uns ausziehen und er mir näherkommt. Sein Körper ist dann so heiss, dass er strahlt wie ein Eisenofen. Der Mann sitzt mir gegenüber und spielt mit der Aluminiumschachtel. Er hat lange schmale Finger mit wohlgeformten Fingerknöcheln und Spuren, wie sie Menschen haben, die einem Handwerk nachgehen, Holz bearbeiten oder Wände streichen. Seine Finger sind braungebrannt. Er trägt einen Siegelring mit einem königsblauen Stein. Ich stelle mir vor, wie er das Skalpell hält. Das habe ich mir noch nie vorgestellt. Er trägt dann Handschuhe. Die feinen Konturen seiner Finger sind nicht zu sehen. Ich habe die Hände des Mannes noch nie auf meiner Haut gespürt, obwohl er mich seit dreiundzwanzig Jahren berührt. Ich kann mich dennoch nicht erinnern, wie es sich anfühlt. Nur an seinen Geruch mit dem Hauch von Vanille. Er dreht die Aluminiumschachtel in seiner linken Hand und sagt, dass er zu Weihnachten noch da sei. Wenn die Jungs wieder abreisen, gehe er auch. Ich weiss nicht, was er meint. Ich frage nicht nach.

24
    Eine Stunde nach den Jungs verlässt der Ehemann das Haus. Es ist Silvester. Kurz nach zwölf. Wir haben zusammen gefrühstückt. Dann sind die Jungs aufgestanden, in ihre Zimmer gegangen, um sich Musik und Filme auf ihre Smartphones zu laden und ihre Taschen zu packen. Ich habe ihnen übriggebliebene Speisen in der Küche in Plastikschachteln verpackt, Plätzchen und Schokolade in eine Dose geschichtet und zum Auto getragen. Der Mann und ich standen nebeneinander auf dem Gehsteig und haben den Jungs nachgewinkt, als sie losfuhren. Es muss ausgesehen haben, als wären wir ein Paar. Der Mann neben mir hat, als die Jungen über die Kreuzung nach rechts in die Hauptstrasse einbogen und unseren Blicken entschwanden, ein Mhm von sich gegeben, die Lippen zusammengepresst, sodass sie nur zwei schmale Striche waren. Er sah noch blasser aus als sonst und noch magerer. Er stierte auf den Schnee auf dem Gehsteig, der mit Streukörnern durchsetzt war, wandte sich dann in Richtung Haustür und verschwand im Keller. Vereinzelt explodierten Silvesterraketen pfeifend in der Luft und einige Knaller waren zu hören. Eine Wolke zog durch die Strasse und hinterliess Schwefelgeruch. Im Keller hantierte der Mann mit Umzugskartons. Die trug er wenig später

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