Die Verfolgerin - Roman
nehme ihre Bewegungen auf, wie sie läuft. Geraden Schrittes. Ich nehme ihre gerade Haltung auf, spüre, wie sie sich in mir ausbreitet, bis ich mich ebenso halte. Ich bin dicht bei ihr. Wir laufen am Schachbrett vorbei, an einem Mann, der Schachfiguren aufstellt. Ich überhole sie. Alles geht automatisch, als folge ich einer Regieanweisung: Ich stosse beim Überholen mit ihr zusammen, ihr Mantel raschelt, als der Stock sie berührt. Die Stockspitze dringt durch ihre Hose. So meine ich es zu spüren. Sie bleibt stehen, schaut an sich herunter, rückt ihren Mantel zurecht. Dann läuft sie weiter, wie vorher, mit gerader aufrechter Haltung. Ihr Gesicht unverändert, als spüre sie keine Kälte, sehe nicht den weissen Frost, der die Äste der Sträucher überzieht, höre nicht das Krächzen der Krähen, was hohl klingt.
Ich warte bis die steinerne Frau den Hofgarten verlassen hat und laufe über eine Seitenstrasse in die Ludwigstrasse. Ein Mann geht hinter mir. Er fällt mir auf. Ich frage mich warum. An ihm ist nichts Auffälliges. Er trägt einen dunkelblauen Kurzmantel, Jeans. Er fällt mir auf, weil er nicht erst jetzt an meiner Seite ist. Er war im U-Bahnwagon. Ich habe nicht bemerkt, dass er ebenfalls am Odeonsplatz ausstieg. Er verfolgt mich. Wie lange schon? Ist er ebenfalls durch den Hofgarten gegangen oder über die Ludwigstrasse? Ich denke nicht darüber nach. Auch nicht über die steinerne Frau. Ich stehe vor dem Schaufenster eines Küchenstudios in der Ludwigstrasse. Der Mann ist weitergegangen in Richtung Fussgängerunterführung. Vielleicht steht er auf der anderen Strassenseite. Ich drehe mich nicht um. Im Schaufenster stehen Tiere. Pelikane und Krokodile. Sie sind bunt. Bestehen aus winzigen Perlen, die auf einen Draht gefädelt sind. Ich habe auch so etwas. Ein Herz aus Draht, auf den winzige rote Perlen gefädelt sind. Es ist von Lisa. Sie hat es aus Kapstadt mitgebracht. Strassenkinder würden es herstellen, um sich ein paar Rand zu verdienen. Das Herz hängt an meinem Schlüsselbund. Es passt zur Ehefrau eines Kardiologen, hat Lisa gesagt, als sie es mir überreichte. Ich drehe mich um, um fortzugehen. An den Mann, der mich verfolgt hat, habe ich in dem Moment nicht mehr gedacht. Der steht auf der anderen Strassenseite. Die Pelikane und Krokodile aus Draht im Schaufenster des Küchenmagazins kosten vierundsechzig Euro. Ich weiss nicht, wie viel Rand das wären.
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Keep talking, ich drehe die Musikanlage des Ehemannes auf. Bis zum Anschlag. Die Musik dröhnt die Gedanken weg, reinigt, wie heisses Wasser Fett auflöst. Ich lasse Wasser in die Badewanne, setze mich hinein. Schaue zu wie das Wasser ansteigt, wie meine Haut im Wasser rot wird. Ich gehe mit der Fernbedienung zurück auf Start und lasse immer wieder Keep talking laufen. Und immer wieder heisses Wasser in die Badewanne. Bis alle Gedanken aufgelöst sind.
Nach dem Bad öffne ich die Post. Der Anwalt des Ehemannes teilt mir mit, dass sich der Ehemann von mir scheiden lassen möchte. Ich solle davon Abstand nehmen, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Er als Anwalt vertrete Georg Gustav Haupt. Ich habe den Ehemann Geo genannt. Ich kenne niemanden, der Georg Gustav Haupt heisst. Ich stecke den Brief in die blaue Tonne für den Papiermüll. Dann balsamiere ich meine Haut mit Rosenöl ein, streife mir Strümpfe mit Spitzenborte über die Beine, schlüpfe in ein fliederfarbenes Wollkleid, darüber eine braune Lederjacke, schlinge um meinen Hals ein Silberfuchsfellimitat, schlüpfe in braune Stiefel und fahre mit dem azurblauen Twingo in die Bar Centrale in der Brienner Strasse, die sich schräg gegenüber dem Volkstheater befindet. Celine, das Geschenk für den Ehemann, wartet dort auf mich. Ich komme eine viertelstunde später als vereinbart zum Treffen. Celine sitzt an einem der Tische am Fenster. Ihr Haar reicht bis zu den Hüften. Sie trägt Jeans, Stiefel, die bis zu den Knien reichen, und einen langen bunten Strickmantel. Sie hat sich ein Glas Rotwein bestellt. Sie tippt gerade auf der Tastatur ihres Handys, als ich komme. Wir umarmen uns wie alte Freundinnen. Ihre Fingernägel sind gepflegt, nicht lackiert. Meine ebenfalls nicht. Wie geht es dir, fragt sie. Eine vertrauensbildende Massnahme. So fragt der Anästhesist vor der Operation, bevor er das Bewusstsein ausschaltet. Ich sage ihr, dass wir uns eben begrüsst hätten wie Freundinnen. Celine sagt daraufhin, dass sie sich gern mit Frauen treffe. Wir müssen erst essen. Das sieht das
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