Die verfuehrerischen Vier
Händen. Verheiratet. Vom Markt genommen. Ich wusste nicht, warum - vielleicht weil ich nicht so weit davon entfernt war, selbst zu heiraten - aber dazustehen und zuzusehen, wie sich Rauls Frau an ihn klammerte … auf einmal tat er mir leid.
Vorsichtig rückte ich wieder ans Tor heran, bis ich ihn ein bisschen sehen konnte. Es war vielleicht verrückt, aber so richtig glücklich sah er nicht aus. Also, er lächelte schon, aber wie er mich gestern Abend angelächelt hatte, so war das hier nicht. Das war eher ein distanziertes Lächeln, als wolle er gar nicht dort sein. Ich hatte keine Ahnung. Und nicht nur das, es war jetzt auch gar nicht mehr meine Angelegenheit.
Halt mal, war sie das je gewesen?
Tag 5, 13.30 Uhr
St. Thomas, Amerikanische Jungferninseln
Ich kehrte der Burg den Rücken zu, so schnell ich konnte. Gerne hätte ich sie mir mehr aus der Nähe angesehen, aber es kam jetzt nicht mehr infrage, dass ich da einen Fuß hineinsetzte. Nicht, nachdem sich dort Mr und Mrs Raul aufhielten.
Warum hatte ich angenommen, dass er ungebunden sei? Auch Leute, die verlobt waren, durften sich doch mit anderen unterhalten, oder etwa nicht? Gott, ich kam mir vielleicht dämlich vor. Und fallen gelassen. Doch, das wurde mir schon auf unerträgliche Weise klar. Irgendwo ganz hinten in meinem Kopf hatte ich gehofft, einen Kuss von ihm zu bekommen, ehe die Kreuzfahrt vorüber war.
Und ich hätte Lorenzo nichts davon erzählt. Es wäre mein kleines Geheimnis gewesen. Vielleicht brauchte jeder so etwas, etwas, dass er mit ins Grab nahm. Aber es sollte nun doch nicht geschehen.
Mein Taxifahrer hatte mir von Coral World erzählt, dem riesigen Seewasseraquarium im Korallenriff. Es sollte hier ganz in der Nähe liegen. Vielleicht konnte ich dorthin gehen, um mein benebeltes Hirn wieder klar zu kriegen. Er hatte gesagt, ich sollte mir vielleicht wieder ein Taxi nehmen, wegen der Hitze, doch als ich auf meine Karte sah, beschloss ich, zu Fuß zu gehen.
Schließlich fand ich die Straße, die zu dem Meerespark führte. Ich hatte in den Broschüren Bilder von dem kuppelartigen Unterwasser-Observatorium von Coral World gesehen und es sah echt cool aus. Vielleicht konnte ich dort schnorcheln gehen. Und nicht mehr hochkommen.
Einfach unten bei den Fischen und Stachelrochen bleiben.
Und bei den Haien.
Ein Ort ohne streitende Mädchen, eifersüchtige Freunde und berechnende süße Typen.
Nur ich und ein paar Schildkröten.
Nach einer Zeit, die mir wie eine ganze Mondphase vorkam, erreichte ich schließlich total außer Atem und schweißgebadet den Eingang des Parks. Na gut. Ein bisschen Anstrengung tut ja gut. Der Eintritt war ziemlich hoch, aber ich hatte noch genug, um ein Taxi zurück zum Hafen zu nehmen, und der Park klang vielversprechend und seinen Preis wert.
Es war nicht so schön wie SeaWorld in Orlando, aber doch auch nett. Es gab viele Ausstellungsbereiche, wo die Besucher verschiedene Meerestiere berühren durften, zum Beispiel Delfine und Stachelrochen. Von Letzteren hielt ich mich fern, falls einer gerade einen schlechten Tag hatte. Ich ging über das Unterwasser-Observatorium einen Weg entlang, der sich ungefähr drei Meter neben dem Ufersaum erstreckte. Der war echt cool.
Es waren unglaublich viele Leute dort - Familien, Teenager, Kinder, ältere Herrschaften -, alle ließen es sich gut gehen und sie genossen den schönen Tag. Nicht zu fassen, dass ich hier allein rumlaufen musste, weil meine Freundinnen sich so dämlich benahmen. Dann das Erdbeben mitten in der
Karibik! Und erst recht nicht zu fassen, dass mein heimlicher Schwarm auf dem Schiff jetzt vergeben war. Ich brauchte Urlaub vom Urlaub.
Obwohl der Tag so blöd gelaufen war, wollte ich Charlotte Amalie weiter kennenlernen. Genau so stellte man es sich vor, wenn man an eine karibische Stadt dachte. Wohin ich mich auch wandte, überall waren Auslagen von bunten Hemden und Röcken, Perlenketten und Strandspielzeug für Kinder. Ein bisschen wie Miami, aber freundlicher. Das war manchmal das Problem mit Miami. Schön, aber so distanziert. Wie ein glamouröser Filmstar. St. Thomas war das Mädchen, das gar nicht merkte, wie schön es war. Wie ein Mädchen von nebenan.
Ein Angestellter, der die Warteschlange für das Unterwasser-Observatorium organisierte, sagte zu der Familie vor mir: »Sie sind gleich dran.« Er lächelte mir kurz zu, dann sah er wieder in das Gebäude hinein. Er war nicht gerade der bestaussehendste Typ der Welt - kein Raul, kein Tyler -,
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