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Die Verfuehrung Des Ritters

Die Verfuehrung Des Ritters

Titel: Die Verfuehrung Des Ritters Kostenlos Bücher Online Lesen
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verehrt wurde?
    Griffyn wandte keinen Blick von der Schatulle. Seit Wochen hatte er in der Burg nach etwas gesucht, ohne überhaupt zu wissen, wonach. Und diese Suche hatte von Tag zu Tag mehr von seiner Zeit und von seiner Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Wenn er ehrlich war, grenzte sein Interesse inzwischen an Besessenheit.
    Und nun stand diese Schatulle vor ihm, in der Mitte des Tisches. Klein, gut zu verstecken und eine Verlockung. Wie eine Sirene, die ihn mit ihrem Gesang lockte.
    Diese Schatulle war es, wonach er gesucht hatte.
    Alex und er sahen sich über das Kästchen hinweg an. Dann zog Griffyn es zu sich heran. Seine Finger glitten über den eisernen Verschluss. Er ließ sich sofort öffnen.
    »Sie ist offen«, sagte er atemlos. »Sollte ein so wertvoller Schatz nicht verschlossen sein?«
    Es kam ihm so vor, als wären all seine Sinne geschärft. Die Farben strahlten üppiger, und alles, was er sah, war scharf umrissen. Der Raum und alles, was vor der Tür vor sich ging, wurde zu einem weißen Nichts jenseits seiner Wahrnehmung. Für Griffyn gab es nur noch diese Schatulle.
    Sein Herz schlug hart und laut, als er den Deckel der Schatulle anhob. Alex seufzte.
    Die Schatulle war gut erhalten und ihre Scharniere sorgsam geölt. Griffyn warf einen ersten Blick ins Innere.
    Papiere. Etliche Schriftstücke, davon einige mit gebrochenem Wachssiegel. Darüber hinaus fand er nicht viel: einen alten Ring, einen Leinenfetzen, einen kurzen Messergriff ohne Klinge, eine Handvoll Münzen und noch einige andere nutzlose Kleinigkeiten. Vor allem aber fand er Briefe.
    Nur ein Kästchen mit Briefen. Wie Guinevere es gesagt hatte.
    Kein dritter Schlüssel.
    Das hier war nicht die Schatulle der Heiligtümer.
    Etwas, das Wut sehr ähnelte, überkam Griffyn. Es war, als würden alle Gefühle, die er bis zu diesem Tag heruntergeschluckt hatte, plötzlich wieder hochkommen. Er atmete tief durch und kämpfte die Wut nieder. Gab es für ihn einen besseren Beweis, dass der Schatz die Männer, die damit in Berührung kamen, unberechenbar machte? Der Wunsch, den Schatz zu besitzen, machte alles andere nichtig und bedeutungslos. Einschließlich der Wahrheit. Griffyn war sicher gewesen, die geheime heilige Schatulle vor sich zu haben. Er hatte sich geirrt.
    Alex riss die Briefe aus der Schatulle und kippte die anderen Sachen auf den Tisch.
    Kein Schlüssel. Alex stieß sich fluchend vom Tisch ab.
    »Gottverdammt!«
    Griffyn atmete tief durch, um seinen beschleunigten Herzschlag zu beruhigen. Er legte die Hände auf die Oberschenkel, während Alex ans Fenster trat und erneut leise fluchte. Dann fuhr er abrupt herum.
    »Das ist sie nicht«, sagte er mit erstickter Stimme. »Das ist nicht die Schatulle.«
    Griffyn wusste nicht mehr, was er empfand. Enttäuschung? Erleichterung? Wut?
    Diese Gefühle tobten in ihm, doch er ließ sich davon nichts anmerken. Sein Herz schlug noch immer viel zu schnell, zu sehr war es von dieser schrecklichen Hoffnung erfüllt gewesen.
    »Du hast die heilige Schatulle nie gesehen, oder?«, fragte er Alex.
    Sein Freund schüttelte den Kopf. »Nein. Der Erbe bekommt sie, sobald er mit dem Vermächtnis vertraut gemacht und zum Hüter ernannt wird. Jeder Hüter wird bei dieser Zeremonie von einem Wächter begleitet.«
    Alex stand im schwindenden Licht der untergehenden Sonne, das durch das Fenster einfiel. Ein kalter Windhauch fuhr durch die Kammer. Alex hatte die Arme vor der Brust verschränkt und stand neben einem Kohlenbecken, in dem kein wärmendes Feuer glomm. Sein Blick war auf die Schatulle gerichtet.
    »Dann habe ich dich dieser Erfahrung beraubt?«, fragte Griffyn leise. »Weil ich mich in all den Jahren nie meinem Schicksal gestellt habe, durftest du nie die Schatulle sehen.«
    Alex schüttelte den Kopf. Aber Griffyn sah, wie etwas in seinen Augen aufblitzte. »Es war dein Vater, der nicht zugelassen hat, dass du auf diese Aufgabe vorbereitet wurdest. Es war nicht deine Schuld. Die Schatulle wäre dir eines Tages überreicht worden. Aber er hat dich nicht mehr in diesen Dingen ausgebildet, nachdem wir England verlassen mussten.«
    Nachdenklich nickte Griffyn. »Dann könnte es doch die heilige Schatulle sein«, sagte er nach kurzem Überlegen, »und du erkennst sie vielleicht nur nicht?«
    »Ich habe geglaubt, es ist die Schatulle«, gab Alex widerstrebend zu.
    Sie schwiegen. Gedankenfetzen gingen Griffyn durch den Sinn, wie Treibgut, das nach einem Sturm an den Strand gespült wurde. Verwirrung.

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