Die Verfuehrung Des Ritters
einatmete und sich in seinen Armen geschützt und sicher fühlte. Das war im Moment genug.
Es war alles, was sie wollte. Ihm einfach nahe sein, sehen, wie sein nachdenklicher grauer Blick sich auf jene richtete, die ihn ansprachen. Er stellte Fragen oder gab Antworten, aber zumeist hörte er einfach zu. Und seine Aufmerksamkeit ließ die Menschen über sich hinauswachsen. Er war wie ein erfrischender Windhauch. Sie genossen seine Gegenwart, und sie hörten auf ihn. Seine Ritter und ihre. Jerv. Fulk.
Griffyn machte wieder gut, was einst schlecht gewesen war, brachte das Leben dorthin zurück, wo vor Kurzem noch Tod und Sterben regiert hatten. Ihr Vater hatte nicht den Großmut besessen, das in seiner Burg zu erschaffen, was Griffyn in nur zwei Wochen auf feindlichem Territorium gelungen war. Er fegte über sie alle hinweg und gab ihnen eine Zukunft.
Und sie würde ihn verraten.
Das war doch Wahnsinn.
Sie starrte auf den von Steinen übersäten Boden des Wehrganges, als ihr ein gewagter Gedanke in den Sinn kam. Musste sie ihn denn verraten P
Seit Wochen hatte sie nichts von König Stephen gehört. Er hätte einen Boten schicken können, der, selbst wenn König Stephen an den weißen Klippen von Dover weilte, Everoot binnen weniger Tage hätte erreichen können. Warum hörte sie nichts von ihm? Warum half er ihr nicht? Warum kamen keine neuen Anweisungen?
Vielleicht würde König Stephen den Vertrag mit Henri tatsächlich unterzeichnen. Ihr Herz raste. Vielleicht gab es keine List. Vielleicht war alles vorbei, und ihr König wusste das. Sie war zu dem Schluss gekommen, es müsse sich um eine Kriegslist handeln. Diese Erkenntnis war zu überwältigend, um sie wirklich begreifen zu können.
Und allein wegen einer hauchdünnen Vermutung wollte sie den anständigsten Mann verraten, der ihr bisher begegnet war?
Obwohl sie noch keine endgültige Entscheidung getroffen hatte, öffnete sie den Mund,. »Griffyn?«, hörte sie sich fragen.
Es war wie an einem dieser Morgen, wenn sie nur noch einen Moment länger unter den warmen Fellen liegen bleiben wollte, ihr Körper sich aber bereits ohne ihr Zutun bewegte und sie sich erhob. Eisige Kälte packte sie. Aber sie tat, was getan werden musste, weil es für sie keine andere Wahl gab.
Sie fühlte sich plötzlich so erleichtert! Es war vorbei. Sie würde ihm vom Prinzen erzählen.
»Griffyn?«
Er blickte sie an. »Ja?«
Ihr Herz hämmerte, und ihre Hände waren eiskalt. »Es gibt etwas, das ich dir sagen muss.«
In diesem Moment kam Alex die Treppe hinaufgeeilt. Er verharrte auf der obersten Stufe und schnappte nach Luft. Seine Tunika war vom Tagewerk verdreckt und steckte halb im Bund seiner Beinkleider. Das blonde Haar war zerzaust. Er wirkte gehetzt, sein Gesicht war gerötet.
»Pagan, du musst kommen. Sofort.«
»Was ist los?«
Alex beugte sich vor. »Ich habe etwas gefunden.«
Ehe er den Satz vollendet hatte, löste Griffyn sich von Gwyn. Seine Hand glitt von ihrer Schulter, und er schob sich an Gwyn vorbei. Sie starrte den Männern entsetzt hinterher. Auf dem
Treppenabsatz drehte Griffyn sich noch einmal zu ihr um. »Was du mir sagen wolltest — kann es noch warten?«
Sie nickte steif. »Natürlich.«
Alex blickte sie forschend an. »Mylady«, sagte er schließlich kalt und wandte sich ab.
Sie sank gegen die Mauer. Ihre Knie zitterten, und sie hörte Griffyn und Alex die Treppe hinunterlaufen. Was hatte das alles zu bedeuten? Sollte sie sich jetzt verlassen oder gerettet fühlen?
Was hatte Alex gefunden ? Es war etwas, von dem er und Griffyn nicht wollten, dass sie es sah.
Die beiden Männer starrten die Schatulle fast ehrfürchtig an.
»Du hast sie bei deinen Sachen gefunden?«
»Sie war bei deinen Sachen, Pagan«, antwortete Alex. Sie sprachen ganz leise.
»Hervé hatte sie zusammen mit den anderen Dingen an sich genommen, die du bei deiner Gefangennahme am Sattel getragen hast. In der Normandie hat er sie deinem Knappen Edmund gegeben, der sie zu deinen anderen Sachen gepackt hat.
Ich habe seitdem nicht mehr daran gedacht, aber als Lady Guinevere vorhin den Brief ihres Vaters und die Schatulle erwähnte... «
Es war nicht nötig, dass erweitersprach. Für Griffyn war klar, was Alex vermutete: Dies hier war die Schatulle der Heiligtümer. Sie musste den dritten Schlüssel enthalten, der ihnen noch fehlte. Wo sonst sollte Ionnes de l'Ami etwas so Wertvolles aufbewahren, wenn nicht in dieser kostbaren Schatulle, die selbst wie ein Heiligtum
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