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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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Arbeit zu verdanken. Er passte auf, dass sie immer genug Geld hatte und nie mehr hinter anderen Menschen herräumen musste. Es war schön, das Haus für sich allein zu haben, auch wenn ihr manchmal die Gesellschaft fehlte. Nicht dass sie das Danny gegenüber je zugegeben hätte.
    Annie wollte die Tür wieder zudrücken, doch das Mädchen stemmte die Hand dagegen.
    »Halt«, sagte die Fremde.
    Annie sah wieder auf und wollte schon wütend werden. Aber dann sah sie noch einmal in das Gesicht des Mädchens, das inzwischen im Licht aus dem Flur stand und deshalb besser zu erkennen war. Irgendwie kam es ihr bekannt vor: der dunkle Schopf, der unter der Kappe herausquoll, die großen grünen Augen, der lange, dünne Körper …
    Sie kniff die Augen zusammen. »Cara?«
    Das Mädchen lächelte schwach. »Hallo, Tante Annie. Lässt du mich rein?«
    Cara saß am Küchentisch, während Annie am Herd hantierte und Tee und etwas zu essen machte. Die Wohnung sah längst nicht mehr so heruntergekommen aus wie in ihrer Erinnerung; offenbar hatte Annie Geld in ihr Haus gesteckt. Sie freute sich, dass es die Connollys so weit gebracht hatten – und dass sie nicht umgezogen waren. Sie wusste nicht, was sie andernfalls getan hätte.
    Annie stellte ein Sandwich vor ihr ab. »Wie findest du das?«
    Cara antwortete gar nicht erst, sie griff nach dem Brot, nahm einen großen Bissen und gleich darauf einen zweiten, bis sie kaum noch kauen konnte. Nach der anstrengenden Reise fehlte ihr die Kraft zum Reden – sie war völlig erschöpft und halb verhungert.
    Das Geld, das Declan ihr gegeben hatte, hatte nicht für einen Bus oder die Bahnfahrt von Liverpool nach London gereicht. Also war ihr nichts anderes übriggeblieben, als per Autostopp zu fahren. Jemand hatte ihr erklärt, dass es an der vierspurigen M62 einen guten Standplatz gebe. Zuerst hatte ein Mann in einem Morris Minor angehalten. Er hatte Anzug und Krawatte getragen, und der Wagen war makellos sauber gewesen. Doch Cara hatte gezögert. Vielleicht war sie überempfindlich, aber etwas an ihm hatte sie an James Buchanan erinnert. Sie meinte in seinen Augen einen raubtierhaften Glanz zu sehen, und das genügte ihr als Grund, nicht einzusteigen. Also hatte sie ihn weiterfahren lassen und auf einen anderen Wagen gewartet. Erst nach einer weiteren halben Stunde hatte ein knallgelber Mini angehalten. Sie musste sich in den Wagen zwängen – in dem zweitürigen Fahrzeug saßen bereits vier Passagiere –, die beiden Jungs vorne, ihre Freundinnen hinten auf dem schmalen Rücksitz. Die vier waren über das Wochenende nach Liverpool gefahren, um eine Band namens The Beatles zu sehen. Jetzt, auf dem Rückweg nach London, nahmen sie Cara gern mit.
    Als sie endlich die North Circular Road erreicht hatten, hatte Cara seit knapp achtundvierzig Stunden nicht mehr geschlafen. Die Gruppe kam aus Hammersmith und hatte sie dort abgesetzt, und Cara war anschließend weiter mit der U-Bahn nach Whitechapel gefahren. Nachdem sie sieben Jahre nicht mehr im East End gewesen war, hatte sie eine Weile gebraucht, um sich zurechtzufinden. Sie hatte dreimal fragen müssen, bis sie die Straße gefunden hatte, in der die Connollys wohnten.
    Wenn man bedachte, dass sie nach so langer Zeit aus heiterem Himmel aufgetaucht war, stellte Annie überraschend wenige Fragen. Und Cara hatte nicht gewusst, wie viel sie preisgeben wollte. Aber jetzt, wo sie an Annies Küchentisch saß und das Gefühl hatte, endlich heimgekehrt zu sein, merkte sie, dass sie Annie ihr Herz ausschütten wollte.
    Sie schilderte ihr, was sie in den vergangenen Jahren durchgemacht hatte. Annie zu berichten, wie ihre Mutter sie bei Theresa abgeladen hatte, war eine kathartische Erfahrung. Cara sah den Zorn in Annies Augen aufblitzen, als sie erzählte, wie viele Versprechen Franny gebrochen hatte, und sie war froh, dass nicht nur sie entsetzt über das Verhalten ihrer Mutter war.
    »Die ganzen Jahre habe ich gedacht, ihr lebt bei euren Verwandten in Irland. Jedenfalls hat mir deine Mam erzählt, bevor sie damals abgehauen ist, dass sie mit dir dorthin wollte, und ich hatte keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie nach Hollywood abzischen wollte.« Die ältere Frau schüttelte fassungslos den Kopf. Natürlich hatte sie von Frances Fitzgerald gehört. Die Schauspielerin war Mitte der Fünfzigerjahre eine richtig große Nummer gewesen. Annie erinnerte sich, sie einmal in einem Film gesehen zu haben – aber sie wäre nie

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