Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen
jede Nacht im Keller verbringen musste, bis dessen Mutter den damals Achtjährigen im weit entfernten Böhmen in Sicherheit brachte. Kaspars Mutter erlebte als Sechsjährige die Flucht aus Schlesien. »Sie erzählte mir, dass sie ihre Puppe zurücklassen musste«, erinnert sich der Sohn. »Das ist mir, als ich klein war, natürlich besonders nahegegangen.«
Ein Sohn, der die Bühne liebt
Er selbst habe eine glückliche Kindheit gehabt, versichert er, ohne nennenswerte Probleme, auch als Heranwachsender nicht. Von seinen Eltern erbte Kaspar die Liebe zum Theater. Er wollte zunächst Schauspieler werden. Wolfgang und Gisela Kampen* unterstützten seinen Berufswunsch. Dass ihr Sohn Begabung und eine schöne Stimme besaß, war ihnen schon früh aufgefallen. Als Jugendlicher liebte er kleine Gesangsauftritte, auch vor den Freunden des Hauses. Die waren restlos begeistert und fragten die stolzen Eltern, woher Kaspar das wohl habe, aber darauf gab es keine Antwort.
Mutter und Vater verhielten sich völlig anders als ihr Sohn. Am liebsten war es ihnen, wenn sie nicht weiter auffielen. Selbst ihre Geburtstage schienen ihnen ein bisschen peinlich zu sein. Bloß nicht im Mittelpunkt stehen. Bloß nicht öffentlich auftreten. Es ließ sich aber nicht immer vermeiden. Zweimal im Jahr musste Gisela Kampen in der Konferenz der Verlagsvertreter neue Bücher präsentieren. Jedesmal wurde ihr vorher übel vor Aufregung.
Gelegentlich kam es vor, dass Vater Wolfgang einen Fachvortrag halten musste. Dann litt er schon drei Tage vor dem entscheidenden Ereignis unter Versagensängsten, die er nur mit größter Mühe kontrollieren konnte. Lange Jahre seines Berufslebens war das so gewesen. Auch konnte er die Anerkennung seiner Kollegen nicht wirklich in sich aufnehmen. Sein Selbstwert war zu schwach. Applaus und Lob ernährten ihn nicht. Er misstraute seinen eigenen Leistungen und damit auch den Bewertungen anderer.
Kaspar dagegen, der schließlich an einer Musikhochschule Gesang studierte, liebte die Bühne und den Beifall. Schon als Student übernahm er unbezahlte Rollen an kleinen Privattheatern. Da er zudem über komisches Talent verfügte, verdiente er seinen Lebensunterhalt mit kurzen Auftritten in Fernsehproduktionen. Es gelang ihm einfach alles, er traute sich alles zu. Mit 23 Jahren heiratete er.
Mit 26 Jahren geriet er in eine schwere Krise. Er kannte sich selbst nicht mehr wieder – grenzenlos erschöpft und leer fühlte er sich. Depressionen, Angst und Verzweiflung wurden seine ständigen Begleiter. Und er konnte nicht mehr singen.
»Da ist plötzlich meine ganze Art zusammengebrochen.« Nüchtern und selbstverständlich spricht Kaspar von seiner großen Lebenserschütterung. »Als ich damals nicht mehr zurande kam, ergab das einfach keinen Sinn. Für mich persönlich war es so erschreckend, weil es so absolut aus dem Nichts kam: Ich hatte ja dieses Selbstbild, es sei alles prima gelaufen, ich schaffe alles. Das war dann plötzlich nicht mehr so. Ich hatte früher eigentlich immer alles geregelt in meiner Umgebung, und ich war immer der Sonnyboy, der Macher, auch in meiner Ehe. Meine Frau war finanziell von mir abhängig, und irgendwann war das zu viel Stress. Da brach alles zusammen.«
Für Kaspars Eltern lag der Grund klar auf der Hand: Seine Ehefrau sei schuld, meinten sie. Ständig habe sich ihr Sohn für sie abstrampeln müssen, bis er sich völlig verausgabt habe und überhaupt nicht mehr er selbst gewesen sei. Und auch dann habe sie nicht aufgehört, sondern immer noch mehr von ihm gefordert . . .
Die Schuldzuweisung seiner Eltern brachten den jungen Mann nicht weiter. Natürlich hatte seine anhaltende Verzweiflung auch mit seiner inzwischen gescheiterten Ehe zu tun, aber darunter lag noch etwas ganz anderes, etwas Fremdes, das ihn bedrohte.
Immer tiefer versank er in Hoffnungslosigkeit – bis er eines Tages so weit war, sich einer Psychotherapeutin anzuvertrauen. Gemeinsam leuchteten sie Kaspars Kindheit aus, doch da war nichts, absolut nichts, was seinen Zusammenbruch plausibel machte.
Im Nachhinein, nun, da alles überstanden ist und Kaspar besser singt als je zuvor, muss er manchmal über die ganze Geschichte lachen. »Eigentlich ist es ja so bescheuert, so absurd. Man hat ja im Grunde gar nichts Schlimmes erlebt. Nichts objektiv Schlimmes. Meine Zeit mit Didi Hallervorden, Mike Krüger und Otto Waalkes, was habe ich schon Schlimmes erlebt, außer 1978,als die deutsche Fußballmannschaft in Argentinien
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