Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
können Sie es wagen, mich zu beschuldigen?«
»Ich benutze Sie für die Blutrache gegen Wilson Dowling«, sagte Don Eravisto. »Nur so kann ich ihn aufhalten.«
Helena blickte weiter ruhig in seine kalten Augen. Über ihre kühle Entschlossenheit war sie selbst verwundert, doch tief im Innern war sie sicher, dass ihr Leben nicht hier und von der Hand dieses Mannes enden würde. Wilson war in der Nähe, wenn auch durch eine Zeitbarriere von ihr getrennt, und sie würde zu ihm gelangen – das war ihr bestimmt.
»Sie glauben also, Sie könnten abdrücken und das Leben Ihrer Vorfahren dadurch ändern?«, fragte Helena. »Das einzige Leben, das Sie damit ändern, ist Ihr eigenes und das Ihrer Kinder.« Sie schaute durch den Speisewagen zu seinem Sohn Daniel, der aschfahl geworden war.
»Haben Sie vor, hier alle umzubringen, damit der Mord an mir nicht herauskommt?«, fragte sie. Die anderen Passagiere erschraken, vor allem die Frauen an Don Eravistos Tisch. Ihnen war soeben aufgegangen, dass die Situation auch für sie selbst gefährlich war.
»Ich muss tun, was nötig ist, um den Lauf der Geschichte zu ändern.« Don Eravisto klang gereizt. »Ich werde Sie erschießen und dann mich! Allen anderen wird nichts passieren.«
»Sie wollen sich vor den Augen Ihres Sohnes töten?«
»Ihrem Leben ein Ende zu setzen wird die Geschichte ändern!«, bekräftigte Don Eravisto. »Denn wenn Sie Ihren Part nicht spielen können, wird dieser Teufel Dowling keinen Erfolg haben. Er wird versagen, und meine Familie wird gerächt sein.«
»Ich kann nicht glauben, dass Sie Daniel dieses entsetzliche Erlebnis aufbürden«, sagte Helena, als hätte sie Mitgefühl. »Ich sehe sein Gesicht und erkenne darin nicht den Mann, der einen solchen Schicksalsschlag ertragen kann.«
»Ich habe meinen Sohn auf diesen Moment vorbereitet«, erwiderte Don Eravisto. »Er weiß genau, was er zu tun hat, wenn meine Reise zu Ende ist.«
»Dann haben Sie ihn zum Mordkomplizen gemacht?«
Don Eravisto schnaubte abwehrend. Er war von den einstürmenden Argumenten offenbar überfordert. »Mein Junge ist für alles, was kommen wird, gewappnet.« Er drehte den Kopf, um seinem Sohn einen letzten ermutigenden Blick zuzuwerfen.
Helena packte die Wasserflasche und schlug sie Don Eravisto an die Schläfe. Die Flasche glitt ihr aus den Fingern und prallte gegen die Fensterscheibe über dem Nachbartisch, die Risse bekam, aber nicht zerbrach. In Ihrer Wut griff sie dem Mann in die Haare und schlug ihn mit dem Gesicht auf den Tisch, dass ihm das Blut aus der Nase floss. Dann riss sie ihm den Colt aus der Hand, drückte ihm den Lauf an die Schläfe und rief den Anwesenden zu: »Keine Bewegung, sonst puste ich ihm den Schädel weg!«
25.
A NDEN , P ERU H IRAM -B INGHAM -E XPRESS O RTSZEIT : 17.45 U HR 17. J ANUAR 2014
Helena war entschlossen, den Colt an Don Eravistos Schläfe zu drücken, bis der Zug in den Bahnhof einfahren würde. Es spielte keine Rolle, dass der Mann bewusstlos war. Bis zum Fuß des Machu Picchu war es bloß noch eine halbe Stunde, auch wenn ihr die Fahrtzeit bereits wie eine Ewigkeit erschien. Chad stand im Mittelgang des Speisewagens und richtete ihre Maschinenpistole auf die fremden Leibwächter. Die Waffe konnte achthundert Schuss pro Minute abgeben, und Chad sah ganz so aus, als könnte sie damit umgehen und die fünf Männer, die mit erhobenen Händen vor ihr saßen, in Schach halten. Helenas eigentliche Sorge galt der Frage, ob vielleicht auch jemand vom Zugpersonal auf Don Eravistos Gehaltsliste stand. Bei seinem weitreichenden Einfluss war alles möglich. Helena stand mit dem Rücken zur Wand und blickte sich aufmerksam um.
In dem Moment, als sie Don Eravisto mit der Flasche niedergeschlagen hatte, war Bewegung in den Speisewagen gekommen. Chad flog auf Don Eravistos Männer zu und schoss dabei zweimal über deren Köpfe in die Holzverkleidung der Waggonrückwand. Weil die Männer den Don in der Schusslinie hatten, konnten sie das Feuer nicht erwidern und mussten sich ergeben. Pablo fiel derweil in Ohnmacht und schlug sich die Nase auf dem Gangboden blutig. Inzwischen hatte sich ein Kellner um ihn gekümmert; Pablo hatte den Kopf in den Nacken gelegt und drückte sich einen Eisbeutel ins Gesicht.
Helena tastete nach Don Eravistos Puls. Er war schwach, aber gleichmäßig. Sein Gesicht sah schlimm aus, und aus der linken Wange ragten zwei Splitter von dem zerbrochenen Glas. Die Tischdecke war bereits voller Blut. Es sah aus wie in
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